Jetzt bin ich ja schon seit 1993 als Rechtsanwalt tätig, und eigentlich dachte ich, alles schon erlebt zu haben, aber nun weiss ich mal wieder: es gibt immer wieder Überraschungen.
Heute hat es tatsächlich ein Kollege geschafft, einen Anfang Dezember 2010 im Entwurf schriftlich von mir vorgelegten Vergleich, der heute nur in der Höhe der Vergleichssumme geändert werden sollte, nicht abzuschliessen – er muss ihn nämlich noch einmal neu formuliere, jawohl, der Text ist ja nicht von ihm. Gut. das Gerichtssäle virtuelle Tischkanten haben, gegen die man seinen Kopf knallen lassen kann – was der Vorsitzende Richter und ich dann auch ausgiebig getan haben…
Und für die Juristen noch einen Auszug aus dem Verlauf der heutigen mündlichen Verhandlung:
Richter: „Glauben Sie, dass Sie das vor Gericht durchsetzen können!“
Anwalt: „Darauf hat mein Mandant aber einen Anspruch! Vor dem AG …. bin ich damit schon mal durchgekommen!“
Richter: „Haben Sie dafür denn eine Anspruchsgrundlage?“
Anwalt: „Natürlich habe ich die!“
Richter: „Würden Sie uns denn auch sagen, wo die steht?“
Anwalt: „Ja, natürlich, im Palandt!„*
AARGHHH!
Es ist schon erstaunlich, wie man jahrzehntelang vor Gericht sein (Un)wesen treiben kann, ohne auch nur die Grundlagen der juristischen Technik zu beherrschen – oder sie komplett verlernt zu haben, obwohl man eigentlich täglich damit zu tun haben müsste.
Ich harre jetzt also dem Vergleich – den er im Zweifel dann aus meinem Schriftsatz abschreibt; und dann treffen wir uns noch einmal bei Gericht, weil er nämlich eine schriftliche Protokollierung nicht wollte. Alles klar, ich weiss ja auch sonst nichts mit meinen Vormittagen anzufangen. Der Richter hat uns übrigens avisiert, dass wir das dann demnächst erledigen können – so Ende März… Ob er bis dahin den Vergleichstext fertiggestellt hat? Noch habe ich meine leisen Zweifel!
Photo: www.pixelio.de
* Für alle Nichtjuristen: der „Palandt“ ist ein Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, und diesem kann man die Auslegung von Anspruchsgrundlagen entnehmen, nicht jedoch eine Anspruchsgrundlage; deswegen heisst der berühmte Lehrsatz ja auch nicht: „Ein Blick in den Kommentar erleichtert die Rechtsfindung!“, sondern „eine Blick ins Gesetz. Aber das scheint dem Kollegen nach den vielen Jahren der Berufsausübung noch unbekannt zu sein – oder wieder unbekannt….
hesse
27. Januar 2011
Ich bin zwar ausm osten, aber isch meine, das noch immer der Grundsatz gilt
„da mihi facta, do tibi ius“ und das ich desterhalben gar nischt zur Anspruchsgrundlache erklären muß.
Gehabt Euch wohl!
stscherer
27. Januar 2011
Schon!
Nur wenn man vor Gericht die Federn spreizt und dann freundlich gefragt wird – weil sich gerade niemand im Saal erklären kann, wie man auf solche lustigen Ansprüche kommt -, dann sollte man entweder sagen: „Richter, such Dir doch die Richtige!“ (so in dem Sinne, in der Höflichkeit je nach persönlichem Geschmack), oder man sollte schon eine Anspruchsgrundlage parat haben – und sich nicht gerade auf den Palandt berufen. Das macht dann doch einen eher – nun ja, sagen wir mal, wenig eloquenten Eindruck…