Fall Kachelmann: Das Gericht tritt nach und beschädigt nur sich selbst!

Posted on 10. Juni 2011

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Nun ist es ein paar Tage her: Jörg Kachelmann ist durch das Landgericht Mannheim vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden, Staatsanwaltschaft und Nebenklägerin haben Revision eingelegt, und es wird jetzt maximal 3,5 Monate dauern, bis wir die Urteilsbegründung kennen.

Der gröbste Pulverdampf nach dem Urteil hat sich verzogen, und die Gemüter sollten sich beruhigt haben – deswegen nun ein kleiner Blick auf die mündliche Begründung des Gerichts…

Vorab: Vielleicht sind die Worte des Rechtsanwalts Johann Schwenn, der den Wettermoderator Jörg Kachelmann vor dem Landgericht vertreten hat, ein wenig übertrieben und der Erregung direkt nach dem Freispruch und der mündlichen Urteilsbegründung geschuldet:

„Mit dem Freispruch muss man zufrieden sein“, sagte er. „Was wir dann hinterher gehört haben, war von einer Erbärmlichkeit, die ihresgleichen sucht in einem Gerichtssaal.“ Die Kammer sei den Anforderungen des Falles nicht gewachsen gewesen. Hätte das Oberlandesgericht nicht den Haftbefehl aufgehoben, wäre Kachelmann „noch in Haft bis zum heutigen Tag“. (Analyse: Prozess mit vielen Verlierern | Thema des Tages – Frankfurter Neue Presse – Frankfurt). An anderer Stelle wird er mit ähnlich deutlichen Worten zitiert: Die Kammer hätte den Angeklagten „zu gerne verurteilt“ und habe in ihrer Urteilsbegründung noch einmal „richtig nachgetreten“, um „den Angeklagten maximal zu beschädigen.“ Der Rechtsanwalt sprach von einem „befangenen Gericht“. (Geteiltes Echo nach dem Urteil: Das sind die Reaktionen auf den Kachelmann-Freispruch – Stern TV | STERN.DE).

Das ist nun einmal ein klare Ansage, doch, was ist an ihr dran? Nähern wir uns der mündlichen Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richter Seidling so, wie er sie auch für die Presserklärung autorisiert haben dürfte:

„Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen.“

Nun, wenn man dies so liest, dann fängt man an, darüber nachzudenken, ob Herr Rechtsanwalt Johann Schwenn nicht doch recht hat mit seiner Kritik am Landgericht Mannheim. Dieser Satz nämlich ist für einen Juristen schwer verdaulich und verlangt nach zwei Kommentaren:

  1. Das Gericht muss für einen Freispruch nicht davon überzeugt sein, dass der Angeklagte unschuldig ist, sondern es muss lediglich zu dem Ergebnis kommen, dass der Angeklagte nicht schuldig ist – und hat es dabei zu belassen. Wenn Richter Seidling aber hier weit über seine Aufgabe hinaus geht, dann kann dies nur einen Grund haben: er hält den Angeklagten für schuldig… oder er will die Nebenklägerin um jeden Preis schützen.
  2. Und diesen Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass der Vorsitzende auch noch die Aussage der Nebenklägerin hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts würdigt – obwohl dies überhaupt nicht seine Aufgabe ist. Es hätte vollends gereicht, wenn er festgestellt hätte, dass die Aussage nicht ausreichend ist, um eine Verurteilung zu rechtfertigen. Aber mit dieser massiven Ergänzung seiner Ausführungen spricht er den Angeklagten zwar formal frei, aber verurteilt ihn trotzdem.

Aber warum tut der Vorsitzende das, warum verlässt er mit seiner Strafkammer zum wiederholten Mal den vorgegebenen Weg eines Strafverfahrens? Nun, vielleicht gibt er selbst dazu Aufschluss:

„Der Kammer zu unterstellen, sie sei nicht bestrebt, die Wahrheit herauszufinden und sie stattdessen mit dem Vorwurf zu überziehen, sie verhandele, bis etwas Belastendes herauskomme, ist schlicht abwegig. Im Ergebnis wird damit meinen Kollegen und mir jegliche Professionalität und jegliches Berufsethos abgesprochen. Es bleibt der ungerechtfertigte, dem Ansehen der Justiz schadende Vorwurf im Raum stehen, Richter seien bei Prominenten bereit, zu deren Lasten Objektivität, richterliche Sorgfalt und Gesetze außeracht zu lassen.“

Darum geht es also, man hat den Vorwurf gehört, und man sieht sich im Lichte der Öffentlichkeit nicht mehr in der Lage, zu verurteilen, obwohl man weiterhin an der Schuld des Angeklagten festhält – diesen Eindruck erweckt diese Aussage; jedenfalls verbittet man sich jegliche Kritik an der Verhandlungsführung und dem sonstigen Verhalten des Gerichts, und dies dann gleich mit dem Bezug auf das ganz grosse Kino, der ansonsten eintretenden Schädigung des Ansehens der Justiz.

Nun, da sitzt die Verbitterung wohl tief, von Vielen kontrolliert und bei einer Reihe von mutmasslichen handwerklichen Fehlern beobachtet worden zu sein: der Bezeichnung der Nebenklägerin als „Opfer“, der Vernehmung von „Leumundszeuginnen“  vor Prüfung des Tathergangs, dem Ausschluss der Öffentlichkeit trotz der Veröffentlichung der Zeuginnenaussagen in diversen Boulevardblättern – und damit sind nur einige Auffälligkeiten in der Prozessführung aufgelistet, die, sagen wir mal vorsichtig, diskussionswürdig sind.

Aber wenn Herr Vorsitzender Seidling schon mal dabei  ist, den Justizapparat zu entschuldigen, dann kann er natürlich auch gleich noch den „Kollegen“ von der Staatsanwaltschaft die Absolution erteilen und gegen die Verteidigung kräftig aus(k)teilen:

Gleiches gilt im übrigen für die Staatsanwälte. Gerade der vorliegende Fall steht in seiner Komplexität exemplarisch dafür, dass mit vertretbaren Erwägungen unterschiedliche Sichtweisen denkbar sind. Den Vertretern der Staatsanwaltschaft deshalb pflicht- bzw. gesetzeswidriges Verhalten zu unterstellen, ist eines Strafprozesses unwürdig. Die – wenn auch hart geführte – Auseinandersetzung in der Sache setzt immer auch den respektvollen Umgang miteinander voraus. Diesen hat der Verteidiger des Angeklagten häufig vermissen lassen.

Was die Staatsanwaltschaft betrifft, habe ich mich ja schon geäussert, ich möchte eigentlich die fehlende Sachlichkeit der Anklagevertretung nur an zwei Punkten deutlich machen: was war es denn Anderes als Unsachlichkeit, wenn ein Staatsanwalt folgende Aussage tätigt: „Es ist nicht widerlegt, dass es doch so war, wie sie es geschildert hat.“? Was war es dann, wenn keine Unsachlichkeit, wenn ein Staatsanwalt in seinem Plädoyer ein Wort bei Zitaten aus den Akten weglässt und dadurch den Sinn komplett ins Gegenteil verkehrt?

Würde ich hierfür einen weniger unwürdigen Grund als Unsachlichkeit suchen, dann wäre dies allerdings für die Herren der Staatsanwaltschaft noch peinlicher, denn dann müsste ich ihnen ja grundlegende Unkenntnis des Straf- und Strafprozessrechts unterstellen.

Aber Halt, ich bin da sicherlich voreingenommen, denn für die Thesen des Landgerichts Mannheim bzgl. der Sachlichkeit und Professionalität auf Seiten der Anklagebehörde und des Gerichts soll es doch eine Kronzeugin geben – das Oberlandesgericht Karlsruhe:

„Dass angesichts der Verdachtslage ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, Anklage zu erheben und das Hauptverfahren zu eröffnen war, ist bei objektiver Betrachtung der gesamten Aktenlage – und nur auf die kommt es bei den vorgenannten Entscheidungen an – nicht zu bezweifeln. Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe hat dies nicht anders gesehen.“

Das hat Charme: die Entscheidung des Gerichts, dass entgegen der festen Überzeugung der Staatsanwaltschaft und des Landgerichts Mannheim die Untersuchungshaft des Herrn Kachelmann beendet hat, diese Entscheidung streitet jetzt für die Kammer. Erinnern wir uns, was sich der Presseerklärung des Oberlandesgericht zu entnehmen war:

„Der 3. Strafsenat hat sodann ausgeführt, dass jedenfalls im derzeitigen Stadium des Verfahrens kein dringender Tatverdacht mehr bestehe. Zur Begründung hat der Senat insbesondere darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf den den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin die Fallkonstellation der „Aussage gegen Aussage“ vorliege. Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der verfahrensgegenständlichen Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht. Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.“ (Oberlandesgericht Karlsruhe – Jörg Kachelmann: Haftbeschwerde hat Erfolg)

Das OLG Karlsruhe hat also schon im Juli 2010 den dringenden Tatverdacht verneint – und damit die Messlatte für eine Verurteilung sehr hoch angelegt, zumal es ja genau die tragenden Erwägungen schon vorgenommen hat, die jetzt letztendlich zum Freispruch geführt haben: besorgt neue Beweise, so das OLG an die Staatsanwaltschaft und das Gericht, sonst könnt ihr das vergessen mit der Verurteilung.

Und, sind wir heute einen Schritt weiter? Nein, nicht einen einzigen neuen Beweis hat es in 40 Verhandlungstagen gegeben – es ist noch nicht einmal einer angeboten worden, was die Tat an sich betrifft. Es sind lediglich reihenweise Zeuginnen befragt worden, die zum Teil eine kurze, zum Teil eine lange Zeit vor dem angeblichen Tattag mit Jörg Kachelmann befreundet waren, es sind mündlich die Aussagen von Zeugen und Sachverständigen gehört worden, die sich längst in der Akten befunden haben – und wenn neue Zeugen oder Sachverständige gehört wurden, dann erhärteten diese die Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten – was im übrigen absehbar war, da sie von der Verteidigung benannt worden waren.

Aber im Kern gilt heute dasselbe Fazit wie am 29.07.2010, dem Termin der Verkündung des Oberlandesgerichts Karlsruhe: es besteht kein dringender Tatverdacht, und damit schon gar nicht die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung, die die Voraussetzung einer Verurteilung wäre. Nun, da ist das OLG wohl nur dann ein Kronzeuge für das Tun der Staatsanwaltschaft und des Gerichts in Mannheim, wenn… ja, wenn man ein sehr kurzes Gedächtnis hat.

Aber am Ende sind das Vorgeplänkel, vielleicht hat das Gericht überzeugende Argumente, warum es denn zu diesem nicht überraschenden Freispruch – und gleichzeitig zu seinem durchaus nicht üblichen medialen Schuldspruch gekommen ist:

 „Angesichts des Umstandes widersprechender Angaben des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie angesichts der Feststellungen, dass beide in Teilbereichen nachweisbar die Unwahrheit gesagt haben, stellt sich die Frage, ob durch außerhalb der Aussagen liegende Beweise begründete Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder anderen Schilderung der Ereignisse nach dem Ende des Trennungsgesprächs gefunden werden können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass keiner der außerhalb der Aussagen liegenden Beweise für sich gesehen geeignet ist, die Schuld oder gar die Unschuld des Angeklagten zu belegen.

Es ist vielmehr festzuhalten, dass die objektive Beweiskette in die eine wie in die andere Richtung immer wieder abreißt. Die unzureichende objektive Beweislage lässt sich auch durch die von dem Vertreter der Nebenklage in seinem Plädoyer aufgeworfenen Sinnfragen nicht auffüllen. Diese zu Recht in den Raum gestellten Sinnfragen belegen zwar begründete Zweifel an einer Falschbeschuldigung durch die Nebenklägerin; die Zweifel an der Schuld des Angeklagten können sie jedoch nicht ausräumen.“

(…)

Abschließend führte er zum Ergebnis der Beweisaufnahme aus, dass auch in der Gesamtschau der Beweisergebnisse keine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung von Herrn Kachelmann bestehe, dass aber umgekehrt angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht von einer Falschbeschuldigung durch die Nebenklägerin ausgegangen werden könne.“

Interessant daran ist zunächst einmal, das ein Strafrichter sich in die Position eines Zivilrichters begibt und nicht prüft, ob der Verdacht der Nichtschuld des Angeklagten zerstört werden kann, sondern ständig forscht, ob der Angeklagte die Wahrheit gesagt hat oder nicht. Darauf kommt es aber schlicht nicht an, es kommt darauf an, ob die Aussage der Zeugin glaubhaft sind, diese Zeugin glaubwürdig ist und ihre Aussage mit den weiteren Beweisen in Einklang gebracht werden kann – also, ob die Beweise ohne die Aussage des Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Verurteilung rechtfertigen.

Doch immer wieder verläuft sich das Gericht in einer Rechtfertigung der Nebenklägerin, anstatt seine tatsächlich Aufgabe zu erfüllen, nämlich zu prüfen, ob die vorgelegten Beweismittel ausreichen, eine Verurteilung zu rechtfertigen oder nicht, ganz egal, ob sie nun wahr sind oder unwahr. All dies lässt bei einem objektiven Beobachter den Eindruck erscheinen, es gehe mit dieser „Begründung“ weniger darum, den Freispruch zu rechtfertigen, als mehr darum, den Angeklagten davon abzuhalten, weitere Schritte nach dem eigentlich logischen Freispruch gegen die Nebenklägerin zu unternehmen. Das Gericht setzt sich so dem fatalen Verdacht aus, es sei nicht mehr unabhängig, sondern stehe längst im Lager der Anzeigeerstatterin und versuche nun verzweifelt, diese vor Repressalien durch das Urteil zu schützen.

Nun mag man diese Angst der Kammer des Landgerichts Mannheim durchaus nachvollziehen: die Führung des Prozesses, die vor keinem Schmutzloch im Leben des Angeklagten Halt machte, ohne zu fragen, ob dies überhaupt prozessrelevant ist, führt natürlich zu einer maximalen Beschädigung seines Ansehens und damit zu einem Zwang, nun nach einem Freispruch quasi als Retourkutsche gegen das mutmassliche Opfer vorzugehen – nur, wer hat das verursacht?

Doch derjenige, der diesen unseeligen Prozess über 40 Verhandlungstage führte, ohne auch nur einen einzigen noch so kleinen zusätzlichen Beweis für die Täterschaft über diejenigen hinaus, die schon dem OLG Karlsruhe vorlagen, hervorzubringen, also die Staatsanwaltschaft und das Landgericht Mannheim.

Und dabei hat sich insbesondere die Kammer aufgrund der wenig bis gar nicht vorausschauenden Prozessführung der Möglichkeit beraubt, tatsächlich die Persönlichkeitsrechte der Parteien angemessen zu schützen. So wirken die Ausführungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte reichlich aufgesetzt:

„Abgesehen davon, dass die weit überwiegende Anzahl der unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommenen Zeuginnen keine Interviews gegeben und damit Anspruch auf Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte hatten, geht die Kammer nicht davon aus, dass der Angeklagte oder sein Verteidiger ernsthaft gewollt hätten, dass das Beziehungs- und Intimleben des Angeklagten der Allgemeinheit in allen Einzelheiten durch eine Vernehmung der Zeuginnen in öffentlicher Verhandlung zugänglich gemacht worden wäre. Im Ergebnis steht deshalb außer Frage, dass der wiederholte Ausschluss der Öffentlichkeit sachlich gerechtfertigt war. Er diente allein dazu, die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, auch die des Angeklagten zu wahren und die Wahrheitsfindung in geordneten Bahnen ablaufen zu lassen.“

Letztendlich war es doch das Gericht selbst, dass aufgrund seiner Verhandlungsführung diese Gefährdungen für die Persönlichkeitsrechte der unmittelbar Beteiligten ausgelöst hat. Hätte das Gericht zunächst die Beweismittel eingeholt, die zur Tatnacht vorlagen – einschliesslich der in diesem Zusammenhang erforderlichen Sachverständigengutachten -, dann hätte es – mit Ausnahme der Vernehmung der Anzeigeerstatterin – die Öffentlichkeit gar nicht ausschliessen müssen.

Und voraussichtlich wäre es dann aufgrund des Umstandes, dass sich der Tatvorwurf nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachweisen liess, sehr schnell dazu gekommen, den Angeklagten freizusprechen, und zwar ohne eine einzige der Exgeliebten des Angeklagten zu verhören, ohne den damit einhergehenden Medienrummel zu provozieren und damit ohne das Ansehen des Angeklagten in der Öffentlichkeit über Gebühr zu beschädigen – und ohne alle Prozessbeteiligten 40 Verhandlungstagen auszusetzen.

Zwar lässt sich das Gericht lang und breit über die angeblichen Grenzüberschreitungen der Medien aus, doch mit keinem einzigen Wort erwähnt es, welchen eigentlichen Beweiswert der medienwirksame und die Prozesstage füllende Aufmarsch der Kachelmann-Geliebten gehabt hat – und warum es ihn initiiert hat, sozusagen als Steilvorlage für die Massenmedien.

Natürlich problematisiert es die „Leumundszeuginnen“:

Das Gericht ist bei der Durchführung der Hauptverhandlung in erster Linie der Wahrheitsfindung verpflichtet. Dabei sind nicht nur die in der Strafprozessordnung vorgegebenen Regeln einzuhalten; die Gerichte, denen von Gesetzes wegen erhebliche Eingriffsbefugnisse zustehen, haben vor allem darauf zu achten, dass die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der Zeugen nicht mehr als zur Wahrheitsfindung erforderlich eingeschränkt werden.

(…)

Die medienwirksam vorgetragene Kritik des Verteidigers am Ausschluss der Öffentlichkeit ließ vordergründig den Eindruck entstehen, die Kammer habe bis zu seinem Auftreten ohne sachliche Rechtfertigung die Öffentlichkeit in exzessiver Weise ausgeschlossen. Dass sich drei Zeuginnen durch Interviews ihrer Persönlichkeitsrechte – jedenfalls teilweise – begeben hatten, verstärkte diesen Eindruck.

Ohne Zweifel haben diese drei Zeuginnen und die entsprechenden Medien durch ihr Verhalten dem Ablauf der Hauptverhandlung geschadet.

Abgesehen davon, dass die weit überwiegende Anzahl der unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommenen Zeuginnen keine Interviews gegeben und damit Anspruch auf Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte hatten, geht die Kammer nicht davon aus, dass der Angeklagte oder sein Verteidiger ernsthaft gewollt hätten, dass das Beziehungs- und Intimleben des Angeklagten der Allgemeinheit in allen Einzelheiten durch eine Vernehmung der Zeuginnen in öffentlicher Verhandlung zugänglich gemacht worden wäre. Im Ergebnis steht deshalb außer Frage, dass der wiederholte Ausschluss der Öffentlichkeit sachlich gerechtfertigt war. Er diente allein dazu, die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, auch die des Angeklagten zu wahren und die Wahrheitsfindung in geordneten Bahnen ablaufen zu lassen.

Nur setzt sich das Gericht neben seinen steten Angriffen gegen die Verteidigung mit der Frage auseinander, welchen Sinn und Zweck die Befragung der Damen hatte? Nein, die Ausführungen zur Strafprozessordnung führen in der Sache komplett ins Leere, denn sie erklären fallbezogen nicht: wofür wurden diese Zeuginnen gebraucht? Und deswegen erschliesst sich mir nur ein Ergebnis:

Die Persönlichkeitsrechte der Zeuginnen, der Nebenklägerin und auch des Angeklagten hätte man am besten geschützt, wenn man diese Damen überhaupt nicht, und schon gar nicht in dieser frühen Phase des Prozesses, vernommen hätte!

Doch die Kammer hat es trotzdem getan, und damit dem Medienrummel und den wirtschaftlichen Interessen einiger Zeuginnen Vorschub geleistet. Gerade dieser Umstand hätte sicherlich Anlass sein können für das Landgericht Mannheim, sich mit seiner Prozessführung an sich selbstkritisch auseinander zu setzen, aber genau das Gegenteil war der Fall:

„Auch angeblich Sachkundige konnten nicht der Versuchung wiederstehen, ohne Aktenkenntnis und ohne an der Hauptverhandlung teilgenommen zu haben, häufig aber auf der Grundlage unvollständiger und fehlerhafter Medienberichte per Ferndiagnose ihre persönliche Meinung zum Besten zu geben, die in der Regel nichts mit sachlicher Kritik zu tun hatte, sondern häufig nur Klischees bediente.“

Damit sind sicherlich nicht ein paar Blogger (mich eingeschlossen) oder Foristen im Internet gemeint, sondern die diversen Kommentatoren aus der Bereich der juristischen Zunft, also Professoren, Richter und Staatsanwälte, die sich in verschiedenen Medien äusserten. Natürlich taten sie dies ohne Aktenkenntnis und ohne Teilnahme an der Hauptverhandlung. Aber sie taten es – wie ich im übrigen auch – nach kritischer Würdigung aller bekannten Tatsachen in Abwägung der verschiedenen Stellungnahmen in den Medien und unter Berücksichtigung der Entscheidung des OLG Karlsruhe, und sie stellten mehr als berechtigte Fragen:

  • nach welchen neuen Beweisen forscht das Gericht und
  • wofür sollen diejenigen Erkundigungen, die das Gericht einholt, als Beweismittel dienen?

So sind es sicherlich nicht diese „angeblich Sachkundigen“, die nun mit des Kaisers neuen Kleidern dastehen, es ist die Staatsanwaltschaft und das Landgericht Mannheim, denn am Ende hat sich trotz weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit, einem Aufmarsch von Liebschaften des Angeklagten und der Vernehmung von Traumatologen und Angstschnüfflern nichts ergeben, was nicht auch schon das OLG Karlsruhe wusste: Vergleichen wir es:

Oberlandesgericht Karlsruhe:

 „Der 3. Strafsenat hat sodann ausgeführt, dass jedenfalls im derzeitigen Stadium des Verfahrens kein dringender Tatverdacht mehr bestehe. Zur Begründung hat der Senat insbesondere darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf den den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin die Fallkonstellation der „Aussage gegen Aussage“ vorliege. Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der verfahrensgegenständlichen Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht. Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.“

Landgericht Mannheim:

„Angesichts des Umstandes widersprechender Angaben des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie angesichts der Feststellungen, dass beide in Teilbereichen nachweisbar die Unwahrheit gesagt haben, stellt sich die Frage, ob durch außerhalb der Aussagen liegende Beweise begründete Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder anderen Schilderung der Ereignisse nach dem Ende des Trennungsgesprächs gefunden werden können.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass keiner der außerhalb der Aussagen liegenden Beweise für sich gesehen geeignet ist, die Schuld oder gar die Unschuld des Angeklagten zu belegen.

(…)

Abschließend führte er zum Ergebnis der Beweisaufnahme aus, dass auch in der Gesamtschau der Beweisergebnisse keine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung von Herrn Kachelmann bestehe, …“

Alter Wein in neuen Schläuchen! Nur mit dem Unterschied, dass sich das OLG in strikter Anwendung des Straf- und Strafprozessrecht auf die entscheidungserhebliche Frage des Aussageverhaltens der Nebenklägerin beschränkte, während das Landgericht immer wieder die völlig irrelevante Frage aufwirft, ob der Angeklagte die Wahrheit sagt oder nicht.

Insgesamt macht das alles einen hilflosen Eindruck, als wenn die Kammer die Geister, die es rief, einfach nicht mehr los wird – und nun einen Schuldigen sucht, den es in Rechtsanwalt Schwenn gefunden haben will. Nur damit macht es sich das Gericht genauso einfach wie mit seinen rührseligen Schlussworten:

Zum Schluss wandte sich der Vorsitzende mit einem persönlichen Wort der Kammer an die Verfahrensbeteiligten, die Prozessbeobachter und die Vertreter der Medien:

„Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben. Befriedigung verspüren wir dadurch jedoch nicht. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle rachsüchtige Lügnerin. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin aber auch mit dem Gefühl, ihren jeweiligen Interessen durch unser Urteil nicht ausreichend gerecht geworden zu sein.
Bedenken Sie, wenn Sie künftig über den Fall reden oder berichten, dass Herr Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat und deshalb zu Unrecht als Rechtsbrecher vor Gericht stand. Bedenken Sie aber auch umgekehrt, dass Frau X. möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war.

Versuchen Sie, sich künftig weniger von Emotionen leiten zu lassen. Unterstellen Sie die jeweils günstigste Variante für Herrn Kachelmann und Frau X. und führen Sie sich dann vor Augen, was beide möglicherweise durchlitten haben.
Nur dann haben Sie den Grundsatz „in dubio pro reo“ verstanden. Nur dann kennt der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht nur Verlierer, sondern neben dem Rechtsstaat auch Gewinner.“

Nun soll man jedem seine Überzeugungen lassen, nur sind Überzeugungen nicht das, was man von einem Gericht erwartet.

Und das Urteil hätte das Gericht auch – wie in 95% aller Vergewaltigungsverfahren – schon nach maximal 4 Verhandlungstagen haben können. Die Verzehnfachung der Verhandlungstage und die damit einhergehende maximale Belastung und Beschädigung sowohl des Angeklagten als auch der Nebenklägerin können auch die salbungsvollen Schlussworte nicht wieder gutmachen. Es wäre an der Kammer der Landgerichts Mannheim gewesen, frühzeitig im Rahmen des Prozesses ihr richtiges Verständnis vom Grundsatz „in dubio pro reo“ zu zeigen – denn dann hätte es tatsächlich einen Gewinner gegeben, und zwar den Rechtsstaat. Und Nebenklägerin und Angeklagter ständen jetzt nicht – auch in den Augen des Gerichts – als Verlierer da.

Am Ende wünschte man sich eigentlich, dass dieses Gericht nicht auch noch eine wirkliche Urteilsbegründung schreiben muss, denn nun muss es den ernsthaften Versuch unternehmen, eine revisionsfeste Argumentation zu finden für einen Freispruch, den es augenscheinlich selbst nicht unbedingt angestrebt hat.

Solche Unterfangen gehen gerne mal richtig schief… mit der Konsequenz, dass der durchaus strenge 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes den Freispruch aufhebt – und nicht unbedingt deswegen, weil er ihn für sachlich falsch, sondern für falsch zustande gekommen hält; ja, auch in diesem Sinne kann Justitia durchaus blind sein, wie der Fall Harry Wörz zeigt: dort hat genau dieser 1. Strafsenat einen Freispruch wegen juristisch nicht tragfähiger Begründung aufgehoben – um ihn dann nach erneuter Durchführung des erstinstanzlichen Verfahren zu bestätigen.

Man male sich dies für den Fall Kachelmann aus – und man überlege sich die Belastung sowohl für die Nebenklägerin als auch für den Angeklagten…

Vielleicht hat gerade deswegen das Landgericht Mannheim fast flehend nicht nur mit seinem Schlusswort „zwischen den Zeilen“ der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin die Gefahren aufgezeigt, die eine Revision haben könnte, denn:

Derzeit ist Jörg Kachelmann nicht schuldig einer Vergewaltigung. Dies bedeutet aber nicht, dass damit die Nebenklägerin schuldig einer Falschaussage pp. ist, denn auch sie ist nicht schuldig bis zu einer Verurteilung. Für eine solche hat das Landgericht Mannheim allerdings den Maßstab sehr hoch gehängt, d.h., ohne eine schriftliche Begründung des Urteils dürften die Möglichkeiten für eine Verurteilung der Nebenklägerin – und auch für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche des freigesprochenen Angeklagten gegen sie – sehr gering sein.

Doch Staatsanwalt Lars Torben O., sein Chef Oskar Gattner und die Nebenklägerin scheinen uneinsichtig zu sein, denn sie ersparen der Landgerichtskammer nicht die Peinlichkeit der schriftlichen Urteilsbegründung.

Und was provozieren sie damit? Die Kammer muss jetzt schriflich begründen, warum der Angeklagte nicht schuldig ist und damit freizusprechen war – und warum die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beweiswürdigung falsch lag. Und damit wird Jörg Kachelmann nach Recht und Gesetz sowie den Maßstäben des Bundesgerichtshofes – denn das Landgericht wird natürlich versuchen, sich nicht wegen Verstössen gegen Recht, Gesetz und BGH aufheben zu lassen – die Munition geliefert, die er braucht, um gegen die Nebenklägerin vorzugehen.

Uns steht noch Einiges bevor im Fall Kachelmann…

Photo: www.pixelio.de

Die Presseerklärung des Landgerichts Mannheim im Wortlaut: Landgericht Mannheim – Pressemitteilung vom 31.05.2011- Freispruch für Jörg Kachelmann

Man mag mir bitte meinen – inzwischen korrigierten – Fehler bzgl. des Richternamens entschuldigen: ein Anderer war mir besser in Erinnerung geblieben….