Nun habe ich die letzten Tage mal wieder mit einem grippalen Infekt auf der Nase – will heissen im Bett – gelegen (irgendwie habe ich ein Seuchenjahr, was das betrifft), doch hat ja jede Medaille 2 Seiten: so konnte ich den Bücherstau bei mir wenigstens ein bisschen abarbeiten.
Zunächst habe ich einen ausgesprochen lesenswerten Hansekrimi „ausgelesen“, und dann ein religiös-wissenschaftliches Traktat, welches mich mehr als nur am Rande innerlich berührt hat – doch ist dies noch viel zu persönlich, als das es hier Gegenstand des Blogs sein soll.
Zuletzt habe ich in wenigen Stunden durch das Buch von Thomas Knellwolf geschmökert: Die Akte Kachelmann – Anatomie eines Skandals.
Da die Rezension wortgleich von mir sein könnte, zitiere ich den Eintrag von „TheRock „Groucho“ aus Amazon unter dem Titel:
„Gute Zusammenfassung, aber nicht mehr!
Da mich der Fall von Anfang an sehr interessiert hat, habe ich an meinem freien Tag gestern das Buch in einem Rutsch bis zum Ende gelesen.
Es stellt eine ordentlich geschriebene Zusammenfassung des Falls Kachelmann da.
Zwei Punkte Abzug gebe ich aber aus drei Gründen.
Erstens vermisse ich die angekündigten neuen Fakten. Wer regelmäßig online und in Zeitungen die Sache verfolgt hat, hat mindestens 98 Prozent von dem Dargestellten schon gewusst. Viel Neues und schon gar nichts beeindruckendes Neues bietet das Buch nicht.
Zweitens wird das Buch gegen Ende oberflächlicher, wahrscheinlich weil man so schnell wie möglich mit dem Buch auf den Markt wollte. Und drittens stören mich die teilweise persönlichen Wertungen des Autors, die in einer objektiven Darstellung eines Journalismusprofis nichts zu suchen haben.
Ich frage mich auch, mit wem der Autor die vielen Stunden Interviews geführt hat, mit Jörg Kachelmann und der Anzeigeerstatterin, oder mit Leuten im Gerichtscafé, wo er seine Stunden überbrücken musste, wo er wie alle anderen von den Zeugenaussagen ausgeschlossen war;)?
Fazit: Da mich der Fall wirklich brennend interessiert, habe ich den Kauf des Buchs als Nachschlagewerk für später fürs Regal nicht bereut, und es lässt sich flüssig lesen. Es bietet einen guten Überblick, aber leider nicht mehr. Bin auf das von Kachelmann selbst angekündigte Buch gespannt, auch wenn es natürlich eine einseitige Beschreibung aus seiner Sicht sein wird.“
Insbesondere das Vorverfahren bis zum Beginn des Prozesses wird in dem Buch sehr nachvollziehbar dargestellt – und dabei eines erkennbar: dass irgendwann die Ereignisse des Falls Kachelmann über den Beteiligten insbesondere auf Seiten der Justiz zusammen gebrochen sind. So erklärt sich auch, dass die Staatsanwaltschaft bis zum Ende an dem Vergewaltigungsvorwurf auch im Rechtssinne festgehalten hat: es waren die Geister, die man selbst gerufen hatte, die man nicht mehr kontrollieren konnte und die man nun nicht mehr los wurde…
Aber all dies würde den Blogeintrag nicht provoziert haben; eigentlich ist es etwas Anderes:
Thomas Knellwolf wird – vielleicht, ohne es selbst zu merken – Zeuge für eine Aussage des Vorsitzenden Richter Seidling in seiner mündlichen Urteilsbegründung, die dann, wenn sie tatsächlich so gefallen sein sollte, doch mir in ihrer vielleicht ungewollten Dreistigkeit den Atem verschlagen hat; Knellwolf führt immerhin in wörtlicher Rede Folgendes aus (S.252):
„… Doch nichts davon ist, so schliesst Seidling seine Begründung, für sich „gesehen geeignet, die Schuld oder gar die Unschuld des Angeklagten zu belegen“.
Da zitiere ich dann mal einen berühmten Fussballtrainer in abgewandelter Form und gehe davon aus, dass die geneigten Leser ähnlich sprachlos sind wie ich:
Was erlauben Seidling!
Photo: www.pixelio.de
Carsten R. Hoenig
12. Juni 2011
Seidling hat es tatsächlich so formuliert, zumindest steht es so in der Presseerklärung des LG Mannheim:
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass keiner der außerhalb der Aussagen liegenden Beweise für sich gesehen geeignet ist, die Schuld oder gar die Unschuld des Angeklagten zu belegen.
Quelle: http://snipurl.com/1_j
Man könnte mal darüber nachdenken, ob dieser Richter nicht den falschen Beruf gewählt hat.
stscherer
13. Juni 2011
Tatsächlich, jetzt habe ich den Satz auch gefunden – also hat ihn der Buchautor doch nicht so exklusiv, wie ich dachte. Es ändert aber für mich nichts daran, dass er mich ein ganz Stück weit fassungslos zurücklässt.
Wer wie wir schon ein paar Jahre seinen Beruf ausübt, der hat schon mal falsche Urteile erlebt – falsch im Tenor, falsch in der Begründung, falsch in beidem. Für die benachteiligten Parteien ist das immer schlimm, aber das System selber hat dieses Risiko bedacht und deswegen Rechtsmittel vorgesehen.
Diese falschen Urteile sind im übrigen in der Regel in sich stringent, d.h., die Begründung trägt den Tenor; und viele der falschen Urteile sind auch mutig, denn in ihnen vertreten die dort urteilenden Richter nicht den „mainstream“, die herrschende Meinung – und deswegen sind die Urteile dann am Ende falsch (oder einfach nur ihrer Zeit voraus, wie ich es einmal in einem Unterhaltsstreit einer nichtehelichen Mutter gegen den Kindesvater erlebt habe, in dem das Amtsgericht ein „falsches“ und später durch das Oberlandesgericht aufgehobenes Urteil sprach, welches aber die 3 Monate später (und damit nach Rechtskraft der Berufungsentscheidung) verkündete Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts vorwegnahm).
Hier aber ist das Problem ein Anderes: ein Gericht spricht zwar frei, doch es „vergiftet“ diesen Freispruch, indem es eine mündliche Begründung liefert, die praktisch eine Verurteilung rechtfertigen würde – und damit ja auch den Eindruck widerspiegelt, das Gericht habe sich duchgängig auf „Verurteilungskurs“ befunden.
Jurist sein, insbesondere als Organ der Rechtspflege, hat am Ende eben doch auch etwas mit Mut und persönlicher Charakterstärke zu tun.
Arben Stern
14. Juni 2011
Ich habe den Kommentaren in diesem Blog nicht viel anzufügen. Knellwolf ist schonmehrfach mit seinem „hörensagen“ Problem aufgefallen. Er hat ein Faible um Schuld und Sühe genau (nach seinem Gusto) kennen zu meinen. So hat er in den letzten Jahren einige Beispiele von Kollegenbashing in seinem Leibblatt (Tages-Anzeiger) verewigt. Wegen fehlender Nachkontrolle seitens der Chefredaktion wurde dies dann von namhaften Fachleuten aus Deutschland und der Schweiz in den entsprechenden Foren richtiggestellt.
Als Medienawalt wurde ich schon verschiedentlich in Sachen Knellwolf angegangen.