Habe ich doch richtig gerechnet: der 13.09.2011 war also der Tag, an dem das Landgericht Mannheim seine schriftliche Urteilsbegründung spätestens „zu den Akten zu bringen“ hatte (Fall Kachelmann: Iudex non calculat oder Kann mir mal jemand beim Rechnen helfen? « Rechtsanwaltssozietät Scherer & Körbes).
Und tatsächlich, an diesem Tag hat das Landgericht Mannheim auch geliefert, wie man der Presseerklärung des Dr. Joachim Bock entnehmen kann: Landgericht Mannheim – Pressemitteilung im Verfahren gegen J. Kachelmann.
Aber glauben Sie jetzt nicht etwa, Sie dürften auch lesen, was da „Im Namen des Volkes“ geschrieben worden ist – Nein, Sie und ich („Wir sind das Volk“, sozusagen) müssen uns – derzeit – mit dem nackten Ergebnis („Freispruch“) und der unsäglichen mündlichen Rechtfertigung des Vorsitzenden Richters Michael Seidling begnügen. Tatsächlich kann auch ich (trotz des etwas missverständlichen Titels, man mag ihn mir verzeihen, klappern gehört zum Handwerk) Ihr Informationsbedürfnis nicht stillen.
Doch Warum ist das so? Fragen wir doch Dr. Bob – Entschuldigung, Dr. Bock:
„Aufgrund wiederholter Anfragen weisen wir daraufhin, dass im Hinblick auf die betroffenen Persönlichkeitsrechte die schriftlichen Urteilsgründe in keiner Form – also auch nicht in anonymisierter Fassung – der Öffentlichkeit oder den Medienvertretern zugänglich sind.“
So steht es also in der Presseerklärung des Landgerichts Mannheim – doch immerhin erhalten die unmittelbar Prozessbeteiligten Einsicht in die schriftlichen Urteilsgründe – und die geneigte Öffentlichkeit wird aufgeklärt, wann ungefähr denn klar sein wird, wann denn nun mit einem endgültigen Abschluss des Verfahren – oder seiner Fortsetzung in der Revision vor dem Bundesgerichtshof – gerechnet werden kann:
„Die Kammer hat nunmehr das Urteil mit Gründen zu den Akten gebracht. Die schriftlichen Urteilsgründe werden der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin bzw. deren Beistand noch in dieser Woche zugestellt. Mit Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe beginnt für die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin die einmonatige Frist zur Begründung der Revision.“
Letzteres erinnert übrigens ein bisschen an die Placebos, die der schon fälschlich erwähnte Dr. Bob verteilt: das sind nun wirklich Informationen, die keiner mehr braucht, da jeder sie weiss. Und sie sind noch nicht einmal vollständig: man mag es gar nicht glauben, aber wenn in Mannheim Alles mit rechten Dingen zugeht, dann wird sicherlich auch der Angeklagte ein Abschrift erhalten…
So viel also zur Presseerklärung aus dem mannheimer Gerichtsgebäude, mit diesen Zitaten hätte ich dann zunächst einmal meine Chronistenpflicht erfüllt; aber mit Verlaub, kann denn das wahr sein: die Wiedereinführung des geheimen Urteils im deutschen Strafrecht? Ein Urteil „Im Namen des Volkes“, welches „das Volk“ nicht lesen darf? Eine Justiz, die nicht den Mut aufbringt, ihre Entscheidungen vor „der Öffentlichkeit“ zu vertreten?
Nähern wir uns dieser Presseerklärung und damit der Begründung dafür, warum man die Urteilsbegründung im Fall Kachelmann geheim halten will, erst einmal ganz wertneutral: stellen wir uns die Grundfrage, warum sind (Straf-) Prozesse öffentlich, warum werden Urteile öffentlich verkündet und warum sind auch die Urteilsbegründungen öffentlich zugänglich?
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dazu schon sehr umfänglich geäussert: BVerwG, Urteil vom 26.02.97, Az.: BVerwG 6 C 3.96. Im Folgenden beziehe ich mich auf den Inhalt dieser Entscheidung, und, um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, den Plagiator zu geben, sind alle Stellen, die ich wortgetreu oder nahezu wortgetreu übernommen habe, kursiv geschrieben:
In der zitierten Entscheidung weist das BVerwG zunächst einmal darauf hin, dass allen Gerichten, kraft Bundesverfassungsrechts die Aufgabe obliegt, die Entscheidungen ihrer Spruchkörper der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Insoweit handelt es sich bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen um eine öffentliche Aufgabe.
Die Pflicht umfasst dabei alle Entscheidungen, an deren Veröffentlichung die Öffentlichkeit ein Interesse hat oder haben kann. Insoweit besteht sogar eine Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen. Diese Pflicht folgt aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und auch aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung: Gerichtliche Entscheidungen konkretisieren die Regelungen der Gesetze; auch bilden sie das Recht fort (vgl. auch § 132 Abs. 4 GVG). Schon von daher kommt der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen eine der Verkündung von Rechtsnormen vergleichbare Bedeutung zu.
Und, wem dies noch zu abstrakt ist, dem führt das BVerwG vor Augen, warum solche Veröffentlichungen gerade für den Bürger von grosser Bedeutung sind: dieser muß zumal in einer zunehmend komplexen Rechtsordnung zuverlässig in Erfahrung bringen können, welche Rechte er hat und welche Pflichten ihm obliegen; die Möglichkeiten und Aussichten eines Individualrechtsschutzes müssen für ihn annähernd vorhersehbar sein.
Woraus wiederum das BVerwG sein Ergebnis zieht: Ohne ausreichende Publizität der Rechtsprechung ist es dem Bürger nicht möglich, diese Kenntnis zu erlangen, denn die Rechtsprechung in einem demokratischen Rechtsstaat und zumal in einer Informationsgesellschaft muß sich – wie die anderen Staatsgewalten – auch der öffentlichen Kritik stellen. Dabei geht es nicht nur darum, daß in der Öffentlichkeit eine bestimmte Entwicklung der Rechtsprechung als Fehlentwicklung in Frage gestellt werden kann. Dem Staatsbürger müssen die maßgeblichen Entscheidungen auch deshalb zugänglich sein, damit er überhaupt in der Lage ist, auf eine nach seiner Auffassung bedenkliche Rechtsentwicklung mit dem Ziel einer (Gesetzes-)Änderung einwirken zu können.
Das Demokratiegebot wie auch das Prinzip der gegenseitigen Gewaltenhemmung, das dem Grundsatz der Gewaltenteilung zu eigen ist, erfordern es, daß auch über die öffentliche Meinungsbildung ein Anstoß zu einer parlamentarischen Korrektur der Ergebnisse möglich sein muß, mit denen die rechtsprechende Gewalt zur Rechtsentwicklung beiträgt. Nicht zuletzt dient es auch der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege für die Aufgabe der Fortentwicklung des Rechts, wenn über die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen eine fachwissenschaftliche Diskussion ermöglicht wird.
All dies – wie schon angemerkt, von mir weitgehend wörtlich zitiert – hat das BVerwG schon 1997, ja, tatsächlich, „veröffentlicht“. Und diese Äusserungen des Bundesgerichts sind eigentlich auch recht leicht verständlich, weswegen ich sie ja umfänglich übernehmen konnte – nur am Landgericht Mannheim scheinen sie weitgehend spurlos vorbeigegangen zu sein. Aber vielleicht liest man dort keine obergerichtlichen Entscheidungen (zumal dann, wenn sie auch noch aus einer anderen Fachgerichtsbarkeit stammen), und zieht sich lieber auf das Gesetz zurück; und tatsächlich, ein solches gibt es für das Veröffentlichungsgebot nicht.
Doch dumm gelaufen für das Landgericht Mannheim, denn es braucht gar kein solches Gesetz, so das BVerwG weiter:
Zur Begründung der Pflicht der Gerichte, der Öffentlichkeit ihre Entscheidungen zugänglich zu machen und zur Kenntnis zu geben, bedarf es bei dieser Verfassungslage keiner speziellen gesetzlichen Regelung; eine solche hätte lediglich klarstellende Bedeutung.
Und trotzdem findet das BVerwG (in Übereinstimmung mit seinen Vorinstanzen) sogar eine Rechtsnorm, sozusagen der Gürtel zum Hosenträger: § 5 Abs. 1 UrhG . Dort werden nämlich ausdrücklich „Entscheidungen und amtliche Leitsätze“ vom Urheberschutz ausgenommen und für gemeinfrei erklärt. Daraus leitet sich zwar keine Pflicht zur Veröffentlichung ab, sie setzt aber eine solche Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen voraus.
Doch ohne pflichtmäßige Mitwirkung der Gerichtsverwaltung und der Richter bei der Erstellung herausgabefähiger Entscheidungsabdrucke und amtlicher Leitsätze (vgl. zur Definition BGHZ 116, 136) läßt sich nach Auffassung des BVerwG die Gemeinfreiheit von Gerichtsentscheidungen und amtlichen Leitsätzen nicht realisieren. Also muß der Gesetzgeber bei dieser Regelung das Bestehen entsprechender Pflichten mitbedacht und auch konkret vorausgesetzt haben.
Und das BVerwG findet noch weitere treffende Argumente für eine Veröffentlichungspflicht: sie habe ihre Grundlage auch in dem leitenden Grundsatz des Prozeßrechts der Öffentlichkeit gerichtlicher Verhandlungen und Urteilsverkündungen (vgl. u.a. § 55 VwGO i.V.m. §§ 169, 173 GVG), geht aber über diesen – wie ausgeführt – hinaus.
Und wenn die Pflicht dem Grunde nach besteht, dann gilt sie eben grundsätzlich auch für die Instanzgerichte und hier insbesondere für die Obergerichte, sie läßt sich nicht allein auf Entscheidungen der obersten Bundesgerichte beschränken, so das BVerwG. Diesen Gerichten ist zwar durch das Prozeßrecht die Entscheidung grundsätzlich bedeutsamer Fragen, die Wahrung der Rechtseinheit und die Fortentwicklung des Rechts in herausgehobener Weise aufgetragen. Es gelangen aber durchaus nicht alle grundsätzlichen oder doch das Allgemeininteresse berührenden Rechtsstreitigkeiten zu ihnen.
Stellt sich für das BVerwG noch die Frage der Veröffentlichungswürdigkeit im Allgemeinen: eine solche könne auch über das Revisionsrecht hinaus gegeben sein, wenn durch eine Entscheidung allgemein anerkannte Rechtssätze oder deren Anwendung, die bis dahin weniger im Blickfeld stehen, berührt werden. Die Veröffentlichungswürdigkeit beurteile sich dabei ausdrücklich aus der Sicht derjenigen, die mit der Publikation erreicht werden sollen.
Maßgeblich sind also das tatsächliche oder mutmaßliche Interesse der Öffentlichkeit und das Interesse derjenigen, die in entsprechenden Angelegenheiten um Rechtsschutz nachsuchen wollen.
So weit das Bundesverwaltungsgericht. Und was hilft uns dies im konkreten Fall Kachelmann?
Nun, man muss der Entscheidung wohl entnehmen, dass das Urteil und seine Begründung zu veröffentlichen sind – allein das öffentliche Interesse an dem Prozess ist genügend Rechtfertigung hierzu. Und damit besteht grundsätzlich ein Anspruch der Öffentlichkeit an der Kenntnis von der schriftlichen Urteilsbegründung.
Doch wer ist nun dazu berufen, das Urteil zu lesen, zu kommentieren und sodann zu veröffentlichen. Lesen wir das BVerwG weiter:
Zunächst stellt es klar, dass auch für die Veröffentlichungspraxis selbst keine Rechtsnormen vorliegen – logisch, da ja auch die Veröffentlichung an sich nicht extra in einem Gesetz normiert ist. Deswegen macht das Gericht sich intensive Gedanken zum Procedere einer solchen Veröffentlichung:
Zunächst weist es darauf hin, dass natürlich die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, der Datenschutz und zB. das Steuergeheimnis, aber auch die strikte Gleichbehandlung bei der Herausgabe zu überwachen ist. Daraus entwickelt das BVerwG eine zweistufige Verfahrensweise:
Auf der ersten Stufe ist ein öffentlich-rechtlich bestimmtes Handeln der Gerichtsverwaltung zunächst insoweit unumgänglich, als veröffentlichungswürdige Gerichtsentscheidungen konkret ausgewählt werden. Das wiederum kann auf zweierlei Weise geschehen: Zum einen ist eine „amtliche Auswahl“ zu treffen, und zwar dies aus der Sicht des mit der Materie befaßten Richters bzw. seines Spruchkörpers. Zum anderen ist die Gerichtsverwaltung gehalten, die Auswahl um diejenigen Entscheidungen zu ergänzen, an deren Veröffentlichung ersichtlich ein öffentliches Interesse besteht.
Und nun wird es das erste Mal richtig spannend: was ist denn nun ein solches öffentliches Interesse? Nach dem BVerwG ist dieses
… in der Regel bei entsprechenden Anfragen aus der Öffentlichkeit zu bejahen. Dies gilt regelmäßig auch für die private Anforderung zu Zwecken der privaten Veröffentlichung.
Zur ersten Stufe des notwendig öffentlich-rechtlichen Handelns zählt weiterhin die Herstellung einer herausgabefähigen , d.h. insbesondere anonymisierten und neutralisierten Fassung der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidungen.
Wie allerdings die Gerichtsverwaltung im Anschluß an diese erste Stufe des notwendig öffentlich-rechtlichen Handelns verfährt, ist ihrem pflichtgemäßen Ermessen überantwortet. Sie kann durch entsprechenden Organisationsakt eine Regelung treffen, daß sich eine zweite Stufe anschließt, in der sie sich aus Gründen der Effektivität der Aufgabenerfüllung, der Kostenersparnis oder der Verwaltungsvereinfachung die Privatinitiative Dritter einschließlich etwa der im Gericht tätigen Richter zunutze macht. Insbesondere die Herstellung einer veröffentlichungsfähigen Fassung der Entscheidung und der weitere Vorgang der Veröffentlichung als solcher können sich nach den Regeln des Privatrechts vollziehen. Dies geschieht dann aber nicht etwa aufgrund eines originären Verwertungsrechtes Dritter, sondern eben nach Maßgabe des Organisationsaktes.
Ziemlich kompliziert das Ganze, aber man kann es etwas einfacher ausdrücken: jede Entscheidung, die entweder von den Richtern selbst oder aber von jedem interessierten Dritten als veröffentlichungswürdig angesehen wird, ist in eine anonymisierte und neutralisierte Fassung zu bringen und sodann herauszugeben.
Und, mal ehrlich, warum sollte gerade das schriftliche Urteil im wohl medienwirksamsten Prozess Deutschlands während der letzten rund 18 Monate gerade ein solches sein, welches nicht veröffentlichungswürdig ist?
Halten wir also fest: nach meiner Einschätzung kann das Landgericht Mannheim eine Übersendung des Urteils im Fall Kachelmann in anonymisierter und neutraler Fassung einschliesslich der Urteilsgründe nicht verweigern. Es verstösst damit zunächst eindeutig gegen verfassungsrechtliche Grundsätze, so wie dies das BVerwG umfassend dargelegt hat.
Aber halt, werden jetzt einige einwenden, da steht doch noch etwas von „betroffenen Persönlichkeitsrechten“, die geschützt werden müssen und die sogar einer anonymisierten und neutralisierten Veröffentlichung entgegenstehen sollen.
Interessant ist, dass Herr Dr. Bock in seiner Presseerklärung weder den Gärtner noch denjenigen benennt, dessen Persönlichkeitsrechte geschützt werden sollen. Fragen wir uns also mal, wer denn gemeint sein könnte:
- Das Gericht? Wohl eher nicht, denn die kritische Auseinandersetzung mit einer Prozessführung, mit einem Urteil und auch mit einer Urteilsbegründung verletzen sicherlich keine Persönlichkeitsrechte der insoweit ja nicht persönlich, sondern als Mitglieder des Spruchkörpers, tätigen Personen.
- Die Staatsanwaltschaft? Nun, auch wenn man insbesondere bei Lars Torben O. (der Staatsanwalt mit der beeindruckenden Frisur und der glockenhellen Countertenor-Stimme) während des Verfahrens den Eindruck gewinnen konnte, dass seine persönliche Betroffenheit doch das übliche Mass zumindest zeitweise massiv überstieg – in einem solchen Masse, dass er sogar alle Grundsätze des Strafprozesses über Bord warf und sich in der Prozesskommentierung zu der epochalen Aussage hinreissen liess, ein Beweismittel habe nicht die Unschuld des Angeklagten erweisen können; wohl dem, der solchen Staatsanwälten nicht ausgeliefert ist. Aber letztendlich handelte auch er nur als Vertreter der „objektivsten Behörde der Welt“ und wird deswegen durch eine Urteilsbegründung sicherlich nicht in seinen Persönlichkeitsrechten betroffen – und seine Kollegen ebenfalls nicht, so vernichtend unter Umständen die Kritik an der „staatlichen Kavallerie“ auch im schriftlichen Urteil eigentlich sein müsste.
- Die Zeugen – Verzeihung, bei dem weit überwiegenden Teil dieser Gruppe von Beteiligten muss es wohl eher Leumundszeuginnen heissen (was auch immer das sein mag)? Wohl ebenfalls nicht, denn wir reden ja über eine anonymisierte und neutralisierte Fassung des Urteils: diejenigen Zeuginnen und zeugen, die sich nicht in diversen Boulevardblättern gegen mehr oder weniger üppige Honorare als Gespielinnen des Wettermoderators „geoutet“ haben, dürften mit der Veröffentlichung keine Probleme haben – und die übrigen haben ihre Persönlichkeitsrechte ja selbst nach der Auffassung des Vorsitzenden Richters schon in einem solchen Masse zu Markte getragen und zu Geld gemacht, dass das Interesse der Öffentlichkeit an einer effektiven Überprüfung des Handelns der Gerichte bei weitem deren Betroffenheit in ihren Persönlichkeitsrechten überwiegt; und diejenigen Zeuginnen, die nach ihren Zeugenaussagen ihre Aussagen noch bei deren Abdruck in Presseerzeugnissen „aufgepeppt“ haben, können für die Verhinderung des Aufdeckens solcher Unterschiede schon mal gar keinen Schutz verlangen. Bleiben noch die verschwindend geringe Zahl an Zeugen, die öffentlich aussagen mussten (dies war schon schon fast ein Makel in diesem Prozess…): deren Aussagen sind sowieso schon dutzendfach ventiliert, da kommt es nun auf die Urteilsbegründung auch nicht mehr an.
- Die Sachverständigen? Denen wird es egal sein, ob man sie erkennen kann oder nicht – geschieht dies doch zwingend in jedem Prozess, an dem sie teilnehmen: es ist immer ohne grosse Probleme nachzuvollziehen, welcher Sachverständige an dem jeweiligen Prozess beteiligt war.
- Bleiben also noch der Angeklagte und die Nebenklägerin…
Mit Letzteren und ihren Rechten werden wir uns also näher auseinander setzen müssen, denn nur diejenigen können es ja sein, die Dr. Bob im Dschungelcamp der bösen öffentlichen Meinung durch Begründungsquarantäne zu schützen sucht; und dazu werden wir uns wieder mit einer Gerichtsentscheidung befassen müssen – allerdings, wer es denn nun gar nicht mehr aushält, der kann ja schon vorab dem Link zum Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg folgen: VGH Baden-Württemberg: Löschung einer veröffentlichten Gerichtsentscheidung. (Auch hier gilt: die im Folgenden kursiv gedruckten Stellen sind diejenigen, die weitgehend wörtlich übernommen sind).
Ich für meinen Teil verspreche, nach ein paar kurzen Einleitungssätzen auf diese Entscheidung zurück zu kommen: vorab allerdings, so denke ich, sollte man sich schon einmal die Zeit nehmen, zu überlegen, wessen Persönlichkeitsrechte da eigentlich betroffen sein sollen:
Da ist auf der einen Seite der inzwischen freigesprochene Angeklagte, der praktisch direkt im Anschluss an die Urteilsverkündung sich in einer der auflagenstärksten deutschen Zeitungen zu Wort meldete und dort die Anzeigeerstatterin einer Straftat bezichtigte.
Und da ist auf der anderen Seite eine mutmassliche Falschbeschuldigerin, die ebenfalls über ein auflagenstarkes, im gesamten deutschsprachigen Raum vertriebenes Boulevardblatt nach dem Freispruch des Angeklagten den Vorwurf, er habe zu ihren Lasten eine Straftat begangen, laut und deutlich wiederholte – so laut und so deutlich, dass dies einem vielleicht ein bisschen besser orientiertem Gericht als dem in Mannheim zu bunt wurde und sie diesem Treiben ein Ende bereitete.
Bitte,verstehen Sie mich nicht falsch, ich werte beide „Homestorys“ in keiner Weise moralisch, es geht mir nur darum, dass beide Seiten Alles unternommen haben, um ihre Sicht der Sinne in der Öffentlichkeit publikumswirksam zu platzieren. Und wenn man dies mal als Fakt im Hinterkopf behält, dann wird man wohl verstehen, dass ich mir schon die Frage stelle: welche Persönlichkeitsrechte sind denn da noch durch die Veröffentlichung der Urteilsbegründung zu verletzen?
Und dann bedenke man noch Folgendes: da ist ja auch noch der Vorsitzende Richter Michael Seidling mit seiner mündlichen Brandrede, der neben dem unappetitlichen Hieben weit unter der Gürtellinie gegen den Angeklagten, gegen seinen Verteidiger, gegen die bösen Medien und das noch bösere Internet sowie die äusserst fürsorgliche Anteilnahme für Nebenklägerin und Lars Torben O. auch nichts Anderes im Sinn hatte als Stimmungsmache – wobei ich diese noch nicht einmal im negativen Sinne verstehe: er offenbarte damit seine – nach meiner Einschätzung ziemlich einseitige – Sicht auf den Prozess, und dies natürlich in Kenntnis und unter Ausnutzung des Umstandes, dass die mündliche Urteilsbegründung (die formale Rechtfertigung für diese …) keinerlei rechtliche Relevanz, dafür aber eine erhebliche Medienwirksamkeit erhalten werde.
Doch genug der Einleitung; stürzen wir uns nun also in die Abgrenzung zwischen den Rechten der Öffentlichkeit – die nicht zuletzt der Kontrolle der Justiz dienen – und den doch durch deren eigenes Tun ziemlich eingeschränkten Persönlichkeitsrechten der Nebenklägerin und des Freigesprochenen, und ziehen wir dazu die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg heran:
So weit die mehr als dürren Worte des Herrn Dr. Bock überhaupt einen Rückschluss auf die Intention des Gerichts zur Sperre der Urteilsgründe zulassen, meint man dort in Mannheim wohl, eine Veröffentlichung schon deswegen verweigern zu können, weil immer die beiden Hauptpersonen erkennbar bleiben würden, egal, wie stark man das Urteil kürze. Das allein ist aber nun einmal kein Hinderungsgrund für eine Veröffentlichung, wie der VGH schon in seinem ersten Leitsatz feststellt:
„Die Veröffentlichung einer Gerichtsentscheidung kann, auch wenn eine Prozesspartei ohne großen Aufwand bestimmbar und die Entscheidung damit nicht im datenschutzrechtlichen Sinne anonymisiert ist, bei einem überwiegenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt sein.“
Das Gericht begründet dies auch sehr einleuchtend: Würde nämlich bereits eine einfache „Rückverfolgbarkeit“ zur Unzulässigkeit der Veröffentlichung führen, könnte den Informationsansprüchen der Bürger, die ihre Grundlage ebenfalls im Verfassungsrecht finden (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), auf bestimmten Rechtsgebieten kaum noch Rechnung getragen werden.
Wir leben nun einmal in einer Informationsgesellschaft, und fast jede grössere Straftat löst ein mehr oder weniger grosses Medienecho aus – wenn man dann jede dieser Entscheidungen für die Öffentlichkeit sperren würde, hätte man praktisch eine Strafjustiz, die bzgl. der Kapitalverbrechen einer Geheimjustiz gleichkäme. Wollen wir das? Wohl kaum – jedenfalls ausserhalb der Mauern des Landgerichts in Mannheim.
Doch natürlich hat das Informationsinteresse der Öffentlichkeit Grenzen, und auch mit diesen setzt sich der VGH auseinander:
„Das Schutzinteresse des Betroffenen am Ausschluss der Veröffentlichung kann überwiegen, soweit es um besonders sensible Daten geht.“
Bevor man diesen Leitsatz richtig einordnen kann, wird man sich wohl mit den Rechtsgrundlagen ein wenig näher auseinander setzen müssen: da steht auf der einen Seite das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen, auf der anderen Seite das Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Und dabei handelt es sich um eine Einzelfallabwägung unter Heranziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung des Verwendungszusammenhangs der Daten. Je näher die Daten zum unantastbaren Persönlichkeitskern stehen und je geringer daher ihr Sozialbezug ist, desto intensiver ist ihr Schutz gegenüber staatlichen Eingriffen.
Weder das Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen noch das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit genießt generellen Vorrang. Denn beiden Belangen misst die Verfassung wesentliche Bedeutung zu, ohne abstrakt-generell ein Rangverhältnis zu begründen. Vielmehr ist regelmäßig ein praktischer Ausgleich herbeizuführen, der unzumutbare Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen vermeidet, zugleich aber sicherstellt, dass eine ausreichende Informierung der Öffentlichkeit über eine getroffene Entscheidung erfolgen kann.
Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit muss nicht bereits deshalb zwingend zurückstehen, weil eine Entscheidung nicht hinreichend anonymisiert ist und eine datenschutzrechtlichen Anforderungen genügende Anonymisierung angesichts des Streitgegenstandes und der Umstände des Falles auch kaum möglich erscheint.
So also der VGH, der dann im Folgenden sehr genau unterscheidet zwischen den persönlichen Angaben in einem Urteil, welche für die Allgemeinheit von untergeordnetem Interesse sind und deswegen nicht weitergegeben werden dürfen, und den tat- und sachbezogenen Angaben im Urteil, bei denen das Informationsrecht der Öffentlichkeit überwiegt.
Dabei geht der VGH sogar so weit, sämtliche Daten bzgl. des sozialbezogenen Verhaltens des dortigen Antragstellers – konkret die Darstellung seines beruflichen Werdegangs, die Erwähnung der Vielzahl der von ihm geführten Bewerberschutzverfahren sowie die beschreibende Bewertung seiner Prozessführung – als nicht schützenswert anzusehen; Tabu sei lediglich die Privat- oder Intimsphäre – so zB. Angaben zu psychiatrischen Untersuchungen und deren Ergebnissen – doch nur insoweit, als deren Kenntnis nicht für das Verständnis der Entscheidung zwingend erforderlich ist.
Insgesamt zieht das Gericht also den konkreten Schutzbereich für den Betroffenen sehr, sehr eng, und es bestimmt, wer die relevanten Kürzungen der zu veröffentlichenden Entscheidung durchzuführen hat:
„Sind zur Herstellung einer veröffentlichungsfähigen Fassung einer Gerichtsentscheidung inhaltliche Kürzungen geboten, so können diese nur von dem Richter bzw. von dem Spruchkörper vorgenommen werden, der die Entscheidung gefällt hat.“
So weit also der VGH Baden-Württemberg; und Ihnen einen Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie bis hierher vorgedrungen sind, denn meine Ausführungen sind doch ganz schön lang geworden; fassen wir sie trotzdem noch einmal zusammen – so, wie ich die Entscheidungen der Gerichte verstehe:
- Es besteht eine Verpflichtung der Gerichte zur Veröffentlichung ihrer Entscheidungen, und zwar schon dann, wenn irgendeine Privatperson ein nicht völlig abwegiges Interesse an deren Kenntnis hat.
- Die Veröffentlichung hat anonymisiert und neutralisiert zu erfolgen, wobei ein einfacher Rückschluss auf die betroffene Person allein nicht automatisch das Informationsrecht der Öffentlichkeit überwiegt und damit allein mit dem Hinweis auf betroffene Persönlichkeitsrechte die Verweigerung zur Veröffentlichung nicht gerechtfertigt werden kann.
- Der geschützte Kernbereich des Betroffenen bezieht sich allein auf seine engste Privat- und Intimsphäre – und auch nur insoweit, als die Informationen nicht erforderlich sind, um die tragenden Gründe einer Entscheidung zu verstehen.
Und was heisst das jetzt nach meiner unmassgeblichen Meinung für den Fall Kachelmann?
Nehmen wir uns mal den Aufbau eine Strafurteils vor, so, wie es „lege artis“ zu erstellen wäre und setzen es in Beziehung zum denjenigen, welches unter Verschluss gehalten wird (vielleicht ja in dem Tresor, den der dortige Präsident extra angeschafft haben will):
- Grundsätzlich ist das Urteil herauszugeben.
- Die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten sowie sämtliche sonstigen Namen und Adressen von Beteiligten sind komplett zu schwärzen – wobei dies natürlich bzgl. eines Teils der Handelnden dann doch eher rührend wirken würde, so, wie diese sich in den Medien im Laufe des Prozesses und danach positioniert haben.
- Der Schuldspruch – in diesem Fall Freispruch – bleibt natürlich erhalten.
- Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten dürften zum Verständnis des Urteils nicht erforderlich sein, sodass sie jedenfalls weitgehend zu schwärzen sind. Letztendlich sind sie bei einem Freispruch inhaltlich eigentlich entbehrlich, allerdings formal vorgeschrieben – worauf Richter Seidling ja mehrmals eindringlich hinwies.
- Die Feststellungen und die Beweiswürdigung sind praktisch komplett zu veröffentlichen, ob hier bestimmte Teile gekürzt werden können, hat das Landgericht Mannheim in einer durch andere Gerichte überprüfbaren Art und Weise zu entscheiden anhand der Kriterien, ob diese Informationen in die Privat- und Intimsphäre eines Beteiligten fallen und gleichzeitig nicht erforderlich sind, um das Urteil nachvollziehen zu können – wobei man allerdings ausdrücklich anmerken muss, dass jeder Referendar im zweiten Staatsexamen, der in den Feststellungen einer Urteilsbegründung Tatsachen objektiver oder subjektiver Art erwähnt, die für die Begründung des Urteils und damit für dessen Verständnis nicht erforderlich sind, dafür eine deutliche Quittung bei der Bewertung erhalten würde.
- Die rechtliche Würdigung kann zwingend keiner Kürzung unterliegen.
- Gleiches gilt für die Rechtsfolgen – immerhin handelt es sich ja um einen Freispruch, sodass dieser unproblematisch enthalten sein kann.
Es zeigt sich also: nimmt man die zitierten Entscheidungen ernst(wobei diese nur exemplarisch für eine ganze Reihe weiterer Entscheidungen stehen, denn es handelt sich hier ja nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung), dann kann man feststellen, dass die Verweigerung der Herausgabe der Urteilsgründe im Fall Kachelmann allein mit dem Hinweis auf betroffene Persönlichkeitsrechte auf Dauer keinen Bestand haben wird.
Und sollte das Landgericht Mannheim – mal wieder – den schon begonnenen Irrweg korrigieren, so werden auch die Kürzungen und Schwärzungen in dem zu veröffentlichenden Urteil keinen sehr grossen Umfang haben, denn insbesondere der Angeklagte und die Nebenklägerin werden nur so weit ein überwiegendes Recht auf informationelle Selbstbestimmung geltend machen können, als das Urteil Umstände enthält, die für sein Verständnis nicht erforderlich sind. Ich hoffe, dass sich Frau Richterin Bültmann diese Schwäche nicht (auch noch) geben wird.
Stellt sich abschliessend nur die Frage: wer macht sich auf den Weg, das Landgericht Mannheim auf den Pfad der Tugend zurück zu führen und den dort Handelnden zu erklären, dass die Zeit der Geheimurteile lange vorbei ist – Gott sei Dank!
Ich tue es jedenfalls nicht – aber es wird sicherlich Andere geben, davon bin ich eigentlich fest überzeugt; so könnte der Fall Kachelmann dann nicht nur eine neue Qualität in Bezug auf die Berichterstattung über Strafprozesse in den Medien aufzeigen, sondern auch noch zur Konkretisierung der Veröffentlichungspflichten der Gerichte führen – aber ob Dr. Bock das tatsächlich angestrebt hat? Das wäre schon eine sehr subtile Form des Anstosses einer Rechtsfortbildung.
Photo: pixelio.de
Ergänzung:
Nun bietet „wordpress“ mir ja die Möglichkeit, festzustellen, von wo auf meinen Blog zugegriffen wird: und tatsächlich, bei Einträgen über den Fall Kachelmann sind es häufiger auch User(innen) des „EMMA“-Forums, die hier mitlesen. Und natürlich interessiert es mich, was dort (sozusagen im Wege der „Stillen Post“) über meine Meinung gesagt wird; und so bin ich dort jetzt auf einen Eintrag von „serengeti“ gestossen, den ich nun nicht unkommentiert lassen kann:
1. Es ist eine grobe Unverschämtheit, mir zu unterstellen, ich hätte die Nebenklägerin diffamiert, denn es ist ausdrücklich keine (!) Diffamierung, wenn ich meine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussage habe – immerhin war diese ja auch für das Gericht nicht so überzeugend, dass es zu einer Verurteilung des Angeklagten kam. Und deswegen ist sie nun einmal eine „mutmassliche Falschbeschuldigerin“, genauso, wie Herr Kachelmann während des Prozesses für viele ein „mutmasslicher Vergewaltiger“ war – und jetzt ein „noch nicht rechtskräftig Freigesprochener“.
Und es ausdrücklich auch keine Diffamierung, wenn ich darauf hinweise, dass die Nebenklägerin sich selbst eines Unterlassungsanspruchs ausgesetzt sieht, nachdem sie nach der Urteilsverkündung in aller Öffentlichkeit ihre Vorwürfe gegen Herrn Kachelmann wiederholte.
2. Ebenso grob unverschämt ist es, meine Meinungsäusserungen im Internet nur deswegen als Werbung zu diffamieren, nur weil ich nicht so feige bin, meine Meinung hinter irgendeinem Nick zu verstecken. Wenn sich „serengeti“ vor der dummen Diffamierung, ich wolle „bestimmte Mandate“ anziehen, mit meiner beruflichen Ausrichtung beschäftigt hätte, dann hätte „serengeti“ gemerkt, dass gerade dies bei mir nicht der Fall ist: Strafrecht ist nicht mein Arbeitsgebiet – und soll es auch nicht werden! Allerdings möchte ich gerne, dass meine Meinung gelesen wird, und ich stehe auch im Gegensatz zu „serengeti“ zu meiner Meinung. Und mit geht es darum, wie ein Rechtssystem mit einem nicht in der Sache, aber im Prozessverlauf aussergewöhnlichen Verfahren umgeht.
Und weil ich gerade dabei bin (und es in den Zusammenhang passt, weil serengeti“ sicherlich ebenfalls in die allseits bekannte AHT-Kategorie einzuordnen ist), noch etwas zu meinem Internetschatten, der Ex-Stewardess ohne Hobby, die vor lauter Langeweile den ganzen Tag das Netz durchwühlt oder lächerliche YouTube-Videos wahlweise ansieht bzw. in Foren einstellt: wenn sie mit mir diskutieren will – herzlich gerne. Aber nicht über Einträge im Forum ihres Aktivierten. Zu diesem Kindergarten habe ich meine Meinung schon gesagt: Haben Sie auch eine Zecke? « Rechtsanwaltssozietät Scherer & Körbes.
aaabbbbsssTEST
16. September 2011
Ist heute schon der 13.11. ? Oh je…Da muss ich auch nochmal nachrechnen..
stscherer
16. September 2011
Ups!
Korrigiert…
Tuttle
16. September 2011
Vermutlich ist die Begründung dem Landgericht Mannheim peinlich.
stscherer
16. September 2011
Das ist aber jetzt kein Argument, welches die Verwaltungsgericht akzeptieren würden….
E. Haas
16. September 2011
war doch vom LG Mannheim nicht anders zu erwarten
stscherer
16. September 2011
Ich für meinen Teil bin eigentlich davon ausgegangen, dass sich das Landgericht Mannheim mit der einschlägigen Rechtslage auseinander setzt – deswegen hat mich die Presseerklärung durchaus überrascht.
Ich denke, dass meine Blogeinträge zeigen, dass ich durchaus eine differenzierte Einstellung zu dem Verfahren und ein fachliches Interesse an den Hintergründen habe – und deswegen ärgert mich die Blockadehaltung des LG Mannheim ganz besonders. So etwas schadet dem Rechtsstaat erheblich!
Frank Georg Bechyna
16. September 2011
Diese sachlich wie rechtlich korrekte Analyse mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen kann jeder Bürger, ja muss jeder Bürger , ohne Abstriche unterschreiben.
Frank Georg Bechyna
bechyna_arzt@gmx.com
Christian Jacoby
16. September 2011
Eine juristisch brilliante Analyse, …
die nur leider mit keinem Wort auf die offenkundige Besonderheit des vorliegenden Falles eingeht, dass hier im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte verschiedener Prozessbeteiligter während großer Teile der Beweisaufnahme die Öffentlichkeit ausgeschlossen war …
Frank Georg Bechyna
16. September 2011
Sehr geehrter Herr Scherer,
in der Presseerklärung des Landgerichts Mannheim, vertreten durch den VRLG Dr. iur. J. Bock (teilnehmender Richter in dem Strafverfahren gegen Herrn Kachelmann! ), hat das LG Mannheim seinen seit 2010 feststehenden rigiden Kurs gegen den früheren Angeklagten, dessen Strafverteidiger RA J. Schwenn, weite Teile der ihr nicht genehmen Presse und Teile der oft recht sachkundigen Juristen und Ärzte konsequent fortgesetzt. Deshalb hat mich diese Presserklärung nicht überrascht.
Insofern waren ihr sachlichen wie rechtlichen Hinweise in ihrem Beitrag vom 16. September 2011 dringend erforderlich, damit der gebildete Laie sich selbst ein sachliches Urteil bilden kann. Alle von Ihnen angegebenen Quellen sind allgemein zugänglich, was den Informationswert ihres Beitrages deutlich erhöht .
Dieser 5. Grossen Strafkammer waren Prozesseröffnung wie Prozessverlauf längst völlig entglitten. Die Staatsanwaltschaft Mannheim um Oberstaatsanwalt Gattner und den Opern- und Heurigenfreund Lars-Torben O. ebenfalls.
Die Öffentlichkeit ist in solchen – nicht seltenen – Strafverfahren ein Grundsatz des Strafprozesses. Dass direkt nach der mündlichen Urteilsverkündung laut Presse- und TV-Mitteilungen noch im Gerichtssaal von Fremden laut gejubelt wurde und Alkohol im Gerichtsgebäude getrunken werden durfte, gehört zu den biazrren Realitäten dieses Prozesses.
Das Landgericht Mannheim hätte spätestens seit den Live-Übertragungen des Strafverfahrens gegen O.J. Simpson in den USA wissen müssen, welch enormes Interesse solch ein angeblicher Ausnahmefall in der Bevölkerung, bei der Presse und im Fernsehen hervorruft. Gericht wie Staatsanwaltschaft in Mannheim waren hier deutlich überfordert.
In der mündlichen Urteilbegründung hat es interessanterweise keine namentliche Nennung der kritisierten Internetbeiträge gegeben. Gemeint waren wohl vor allem sog. Fanseiten z.B. auf facebook.com. STA wie die 5. grosse Strafkammer hatten während des Prozesses durchaus die Möglickeit, darauf sachangemessen zu reagieren. Dies ist zu keinem Zeitpunkt öffentlich geschehen. Warum nicht?
Wie Sie zu recht schreiben, hat die Öffentlichkeit ein begründetes Recht darauf, den Inhalt des schriftlichen Urteils insgesamt zu erfahren, in der von Ihnen mit Quellenangeben genannten Form.
Wenn ich es richtig sehe, dann hat der Bürger ein einklagbares Recht darauf, dieses schriftliche Urteil nicht nur einsehen zu können, sondern auch zeitnah ggf. gegen Gebühren zugeschickt zu bekommen.
Ihr Beitrag vom 16. September 2011 war ein Beitrag für einen rechtsstaatlichen Prozessablauf und den damit verbundenen zwingend vorgeschriebenen Themen.
Mit freundlichen Grüssen
Frank Georg Bechyna
bechyna_arzt@gmx.com
stscherer
17. September 2011
Sehr geehrter Herr Jacoby,
Sie vergessen schlicht 2 Punkte:
1. Zunächst beschäftigen Sie sich überhaupt nicht mit der Frage, ob der weitgehende Ausschluss der Öffentlichkeit im Prozessverlauf überhaupt rechtmässig war; Sie sollten dazu vielleicht noch ein wenig weitere Kommentare lesen (nicht nur bei mir), dann würden Sie nicht mit so leichter Hand zu dem fehlerhaften Schluss kommen, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit schon dann rechtmässig ist, wenn ein Gericht ihn anordnet; allerdings wird diese Frage (leider) kein Thema im Rahmen einer Überprüfung des Urteils durch den BGH sein, denn der Angeklagte ist freigesprochen worden und die Staatsanwaltschaft war ja diejenige, die im kongenialen Zusammenwirken mit dem Gericht diese Geheimniskrämerei nach Kräften befördert hat.
2. Aber der eigentliche Fehler in Ihrer Argumentation liegt ganz woanders: der grosse Unterschied zwischen einer Zeugenaussage selbst und ihrer späteren Würdigung im Rahmen der Feststellungen des Urteils ist, dass man bei der Zeugenaussage im Augenblick der Entscheidung, ob man die Öffentlichkeit ausschliesst oder nicht, kaum überblicken kann, ob und inwieweit Umstände erörtert werden, die auf der einen Seite die Intim- und Privatsphäre der Beteiligten betreffen, auf der anderen Seite aber für die Entscheidungsfindung nicht relevant sind. Bei der späteren Erstellung einer anonymisierten und neutralisierten Fassung des Urteils liegt aber ein abgeschlossener Text vor, bei dem bei jedem einzelnen Satz zwischen den betroffenen Rechten abgewogen werden kann. Es ist also deutlich zu kurz gegriffen, wenn man aus dem Umstand, dass eine Zeugenaussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit getätigt worden ist, den Rückschluss zieht, dass dieser per se nicht im Rahmen eines Urteils veröffentlicht werden kann.
Sie sehen, es sind also eher Ihre Einwendungen, die nicht zu Ende gedacht worden sind.
Im übrigen haben Sie sicherlich grosses Verständnis dafür, dass auch ich von dem Recht Gebrauch mache, Formulierungen zu kürzen, die lediglich der persönlichen Herabwürdigung dienen, ohne sich sachlich mit dem Thema auseinander zu setzen.
stscherer
17. September 2011
Sehr geehrter Herr Bechyna,
Vielen Dank für den informativen und sachlichen Beitrag!
Drnozar
17. September 2011
Darf ich das weiter posten?
stscherer
17. September 2011
Selbstverständlich!
Admin
17. September 2011
sorry Herr Scherer, sind Sie das? oder erlaubt sich jemand einen üblen Scherz???
Gruß, UNRECHT
http://www.facebook.com/profile.php?id=100000765224653
Admin
17. September 2011
unter diesem Profil wurde gestern bei uns geschrieben . . .
stscherer
17. September 2011
Natürlich ist das mein Facebook-Eintrag – dort werden auch die Blogeinträge angekündigt.
stscherer
17. September 2011
Ich fand es schon spannend, dass man in Zeiten des Internets noch auf die guten, alten Paketdienste zurückgreift – man hat doch Mail und pdf-Reader, oder?
Auch wenn die Mailadresse manchmal nicht erreichbar ist…
Jurastudent
17. September 2011
Besonders erwähnenswert zu ihren zutreffenden Ausführungen ist wieder die Internetpräsenz des LGs. Dort heißt es:
„Die Vertreter der Medien können ebenso wie interessierte Bürger das Presseangebot des Landgerichts nutzen. Mit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit will das Landgericht die Ausführung der ihm übertragenen gesetzlichen Aufträge darstellen und seine Arbeit transparent machen. Ziel ist dabei insbesondere, die Medien mit den zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe notwendigen Informationen zu versehen, aber auch bei den Bürgern das Vertrauen in die rechtsgewährende Tätigkeit der Gerichte zu stärken.“
Der Kreis schließt sich… 🙂
Sonnenschein
17. September 2011
Hallo,
dadurch das nach dem Geheimprozess nun das Geheimurteil gibt, würde mich interessieren ob die Verteidiger, das Recht haben, ohne Sanktionen, das Urteil an die Presse weiterzuleiten? Das Ziel muss es doch sein, den Menschen die ihn vorverurteilt haben, klar zu machen, was wirklich in Mannheim gespielt wurde.
Martin Overath
17. September 2011
Die Forderung des Schöffenverbandes, dass Schöffen das Urteil und seine Begründung mitunterzeichnen, hätte in diesem Fall vielleicht besondere Bedeutung gewinnen können. Es ist nicht völlig abwegig, dass sich in Urteilsbegründungen der Berufsrichter das Beratungs- und Abstimmungsverhalten der Schöffen widerspiegelt.
Frank Georg Bechyna
17. September 2011
Dazu :
( 1 ) E-Mails werden dann “ weitergeleitet “ an mindestens eine anmdere E-Mail-Adresse , damit angeblich nichts “ verfolgt “ werden kann . Ein BKA kringelt sich da und ein MAD oder BND natürlich auch .
( 2 ) Pakte sind , so man eines bekommt, eher unwahrscheinlich .
( 3 ) Das Ausdrucken solch einer schriftlichen Urteilbgründung von wahrscheinlich mehr als 300 Seiten mit dem Zeilenabstand 1,5 ist teuer, zeitraubend .
( 4 ) Nie erwähnt worden sind bisher die guten alten Postfächer . Gut wenn man eines hat .
( 5 ) Solche “ Paketpost “ sollte man sich am sichersten an eine Rechtsanwalts- oder Notaradresse schicken lassen .
( 6 ) Freunde im EU – Ausland könnten sehr hilfreich sein .
Mit freundlichen Grüssen
Frank Georg Bechyna
bechyna_arzt@gmx.com
daniel wagner
17. September 2011
Ganz toll geschrieben, zerpflückt und erklärt!
koelneruwe
20. September 2011
Das Urteil muss geheim gehalten werden, da sonst sein Wert sinkt: http://www.rentner-news.de/content/J%C3%B6rg-Kachelmann-Das-Rennen-ist-gestartet
NeuGierig
15. Oktober 2012
Ist das Urteil mittlerweile veröffentlich?
stscherer
15. Oktober 2012
Nein!
NeuGierig
15. Oktober 2012
Kann der Bürger (als Teil des Volkes) eine Abschrift verlangen oder bedarf es der Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten um das Urteil zu veröffentlichen? Sicherlich wurde das Urteil im *Namen des Volkes* gesprochen, jedoch wird nicht jedes Urteil – welches in Deutschland gefällt wird – veröffentlich. Wie kann der Bürger hier sein vermeintliches Recht einfordern?
Hat Herr Kachelmann in seinem Buch das Urteil veröffentlicht? Wenn ja, komplett?? Wenn nein … warum nicht?
Ich bitte um Entschuldigung, so viele Fragen, aber kaum jemand fühlt sich befähigt eine aussagekräftige Antwort zu geben. Darum, vielen Dank!
stscherer
15. Oktober 2012
Ich habe dazu ja schon mehrfach Stellung genommen, aber zusammenfassend kann man Ihre Fragen wie folgt beantworten:
1. Der Bürger hat ein Auskunftsrecht, und die Veröffentlichung ist nicht von der Zustimmung der Verfahrensbeteiligten abhängig.
2. Ein Urteil wird immer öffentlich verkündet, eine Veröffentlichung in der Presse oder in Fachzeitschriften erfolgt nur, wenn sich jemand darum kümmert bzw. wenn dies durch den Gesetzgeber vorgeschrieben ist. Da eine solche Initiative bei einem Grossteil der Urteile nicht ergriffen wird (und aufgrund des Umstandes, dass es sich um reine Einzelfallentscheidungen handelt, auch nicht opportun wäre), bleiben diese eben zwar öffentlich, aber unveröffentlicht.
3. Schreiben Sie die Staatsanwaltschaft Mannheim an und machen von Ihrem Recht Gebrauch. Den Weg habe ich in meinen Blogeinträgen beschrieben, ich als Rechtsanwalt habe da keine Sonderprivilegien.
4. Im Buch der Eheleute Kachelmann ist der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe, mit dem die Haftentlassung des Herrn Kachelmann angeordnet wurde, fast vollständig abgedruckt, aus dem Urteil gibt es nur eineige wenige Zitate. Warum das so ist, kann ich Ihnen nicht beantworten.
Ich habe übrigens mit gestriger Post die Justiz in Mannheim aufgrund der Veröffentlichung im Buch „Recht und Gerechtigkeit“ erneut aufgefordert, die von mir dort eingereichte anonymisierte und neutralisierte Fassung der Entscheidung des OLG Karlsruhe zur Veröffentlichung freizugeben.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen beantworten.
NeuGierig
16. Oktober 2012
Oh ja, vielen Dank. Entschuldigen Sie bitte, dass Sie Ihre Ausführungen wiederholen mussten, es war bei mir wohl nicht so angekommen, bei der Fülle des hier Geschriebenen.