OT1-Vertrag Barmer GEK: Kann eine wirtschaftliche Aufzahlung noch verlangt werden oder nicht?

Posted on 30. September 2010

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© Gerd Altmann / pixelio.de

 

Der sogenannte OT1-Vertrag, den die Barmer GEK mit einigen Gruppen und Verbänden abgeschlossen hat, erhitzt aufgrund einer Reihe von Passagen die Gemüter. An mich aber ist jetzt schon mehrfach eine spezielle Frage herangetragen worden: können nun eigentlich nach Beitritt zu diesem Vertrag noch wirtschaftliche Aufzahlungen genommen werden oder nicht?

Vorweg: ich bin der Auffassung, dass man natürlich noch Aufzahlungen nehmen kann, dass dies aber nur noch in einem sehr eng begrenzten Masse möglich ist, und dann auch im Grunde genommen nur noch für medizinisch nicht erforderliche Zusatzleistungen nach ausdrücklicher Aufklärung des Versicherten darüber, dass diese Leistungen – nun ja, bringen wir es auf den Punkt – Luxus sind, der medizinisch nicht erforderlich wäre.

Beschäftigen wir uns mit den Gegenargumenten, die die Auffassung tragen sollen, man könne wie bisher wirtschaftliche Aufzahlungen nehmen (und dies praktisch gegen den Wortlaut des Vertrages):

1. Sobald es unterschiedliche Fertigungsarten/Produkte gibt, die sich in Herstellungsart, Ausführung, Design, Qualität und damit auch im Preis unterscheiden, könne man dem Versicherten eine – aufzahlungsfreie – Ausführung anbieten und ihn sodann auf eine andere, teurere Ausführung verweisen, wenn er dafür die Aufzahlung leiste, indem man ihm die Vorteile dieser Ausführung aufzeige.

Der Vertrag sagt dazu in § 8 Abs. 5: „Die Produkte müssen … den Bedürfnissen des Versicherten voll gerecht werden.“

Diese Formulierung geht über die medizinischen Notwendigkeiten hinaus und spricht von den Bedürfnissen der Patienten. Da bleibt wenig Spielraum für aufzahlungspflichtige Ausführungen, da diese ja eben gerade nicht den Bedürfnissen des Versicherten dienen dürfen. Besteht aber zwischen dem aufzahlungspflichtigen und dem aufzahlungsfreien Ausführung ein Unterschied, was die Befriedigung der Bedürfnisse des Patienten betrifft, dann wird es schon begründungstechnisch schwer: das aufzahlungsfreie Produkt ist dann eben nicht mehr ausreichend und darf dann nicht mehr abgegeben werden, dass aufzahlungspflichtige Produkt würde damit aber automatisch aufzahlungsfrei, weil es ja dasjenige ist, was die Patientenbedürfnisse befriedigt. Eine Gratwanderung, die ich hier am Schreibtisch und damit in der Theorie nicht vornehmen möchte – und deswegen im Zweifel einem betroffenen Leistungserbringer als den Weg des geringsten Risikos nur raten kann, die Aufzahlung lieber nicht zu nehmen.

2. Aber wenn man hochwertigere Technik einsetzt, dann muss doch eine Aufzahlung möglich sein, oder? Lesen wir Anlage 08  § 3 Abs. 5 des Vertrages: „Die vereinbarten Preise umfassen sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstehen (z.B. die Material- und Herstellungskosten, Verfahren wie Trittspurabdruck oder Scantechnik, die Einweisung in die Handhabung der Produkte, ggf. notwendige Nacharbeiten und andere Dienstleistungen).“

Damit ist eigentlich alles abgedeckt, man kann es sogar dahingehend interpretieren, dass der Vertrag den Einsatz der jeweils besten Methoden voraussetzt, jedenfalls aber ist nicht nur jede Technik aufzahlungsfrei einzusetzen, die aus medizinischen Gründen notwendig ist, sondern auch diejenige, die erforderlich ist, um die Bedürfnisse des Versicherten zu befriedigen. Warum sollte der Versicherte etwas darüber Hinausgehendes bezahlen? Und was sollte das sein? Auch da muss man, wenn man den Weg des geringsten Risikos gehen will, von der Forderung einer Aufzahlung abraten.

So kann ich einem Leistungserbringer nicht guten Gewissens raten, die bisherige Praxis im Bereich der wirtschaftlichen Aufzahlungen 1:1 zu übernehmen. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass es die Barmer war, die eine der grössten Rückforderungsaktionen wegen angeblich falscher Abrechnung der letzten Jahre „angezettelt“ hat – und diese war politisch für die Kasse noch recht schwer zu begründen, da sie dort Geld einzig und allein für sich selbst forderte. In einer Auseinandersetzung um die wirtschaftliche Aufzahlung würde die Kasse sich als Hüter der Versichertenrechte positionieren und könnte damit auf deutlich grösseres Wohlwollen hoffen.

Ich rate deshalb jedem, der mich fragt, genau zu prüfen, ob eine wirtschaftliche Aufzahlung bei Versicherten der Barmer GEK noch möglich ist; diese kann nur noch geltend gemacht werden für Leistungen, die medizinisch nicht notwendig sind und nicht der Befriedigung der Bedürfnisse der Versicherten dienen – da bleibt nicht viel, zumal ich auch raten werde, den Versicherten darüber genau aufzuklären und sich diese Aufklärung auch schriftlich bestätigen zu lassen. Und im Zweifel würde ich immer von der Forderung einer Aufzahlung absehen, denn nicht nur die Vertrag zu findenden Sanktionen für einen zu hohen Preis sind doch sehr erheblich.

Mir ist bewusst, dass andere dies durchaus anders sehen können, aber diese mögen dann bitte auch das Risiko tragen, wenn nicht nur die Barmer GEK eine andere Position vertritt, sondern später einmal Gerichte sich dieser restriktiven Vertragsauslegung zu Lasten der Betriebe, die die wirtschaftliche Zuzahlung genommen haben, anschliessen. Jeder muss für sich selbst entscheiden, welches Risiko er gehen will, er sollte es aber in dem sicheren Wissen tun, dass hier erhebliche Haftungsrisiken liegen.

Bedenkenswert finde ich in diesem Zusammenhang, dass dieser Vertrag letztendlich zu einer Festpreisvereinbarung führt, für die sich im Gesetz in dieser umfassenden Art und Weise gar keine Stütze findet – und dies bei Preisen, die unter Berücksichtigung der Risiken bei der wirtschaftlichen Zuzahlung nicht unbedingt eine Verbesserung der Position auf der Seite der Leistungserbringer darstellen.

Und noch eine Anmerkung zu den Begriffen Zuzahlung und Aufzahlung:

Mit Zuzahlungen beteiligen sich gesetzlich Versicherte an den allgemeinen Gesundheitskosten, und zwar bei Hilfsmitteln, die zum Verbrauch bestimmt sind, mit 10% der Kosten pro Verbrauchseinheit, jedoch höchstens 10 Euro im Monat, Letzteres unabhängig vom Preis des Produkts. Wer allerdings bereits 2% des verfügbaren Haushaltsbruttoeinkommens (bzw. 1% bei schwerwiegend chronisch Kranken) zugezahlt hat, kann sich für den Rest des Jahres befreien lassen.

Seit dem 01. Januar 2005 gelten für Hilfsmittel bundesweit einheitliche Festbeträge. Der Festbetrag legt dabei die Obergrenze fest, bis zu welcher Höhe die Krankenkasse die Kosten, etwa für ein verordnetes Hilfsmittel, übernehmen. Bietet ein Hersteller ein Produkt teurer an, ist die Differenz von Betroffenen selbst zu zahlen. Diese wirtschaftliche Aufzahlung ist zusätzlich zur Zuzahlung zu leisten, auch wenn bereits eine Befreiung für das Jahr besteht.

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