Haben Sie als Bürger oder vielleicht sogar als Rechtsanwalt schon einmal mit einem JobCenter in Hartz-IV-Angelegenheiten zu tun gehabt? Nein? Sie Glückliche(r)?
Ohne die mir durch einen Mitstreiter des Grundgesetzaktivisten unterstellte Profilneurose zu arg strapazieren zu wollen: ich halte mich für einigermassen rechtskundig und darüber hinaus sogar für hinreichend belastbar, und trotzdem bereiten mir diese Verfahren gegen die JobCenter eigentlich nie einen besonders grossen Spass, denn sie sind ausserordentlich mühselig – und manchmal zweifelt man auch nicht nur an seinem gesunden, sondern auch seinem Rechtsverstand. Aber sie sind inzwischen ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil eines grossen Teils der Verfahren, die man als Fachanwalt für Familienrecht so zu betreuen hat. Bei der Trennung sind Viele schneller beim JobCenter angekommen, als sie sich das jemals in ihren schlimmsten Albträumen vorgestellt hätten…
Wenn man dann den durchaus regen Schriftverkehr mit der Behörde führt, dann gewinnt man allerdings schnell und oft den Eindruck, als ginge es den dortigen Mitarbeitern ähnlich: Überforderung an allen Orten! Es ist also eher das System, an dem alle Seiten verzweifeln. Die Lektüre schon eines „computergestützt“ erstellten Ausgangsbescheides kann alle an dem Verfahren Beteiligten an den Rande eines Nervenzusammenbruchs bringen…
Nur, wenn das schon den dortigen Mitarbeitern und den eingeschalteten Rechtsanwälten so geht, wie müssen sich dann erst die eigentlich Betroffenen (oder sollte ich gleich Opfer sagen) fühlen? Man kann nachempfinden, wenn sich diese in der Regel Rechtsunkundigen und nicht besonders „Behördengewohnten“ sehr schnell überfordert sehen – und dann eben doch das eine oder andere Mal sich anwaltliche Hilfe versichern, sozusagen im Rahmen einer „gefühlten Chancengleichheit“.
Aber dann wird es schwierig, denn bei denjenigen, die in diesen Verwaltungsstrudel geraten sind, handelt es sich ja nun nicht um solche, die über viel Geld verfügen – sonst wären sie ja keine „Kunden“ des JobCenters -, und auch ein Rechtsanwalt muss von irgendetwas leben.
Und schon sind wir bei der Entscheidung des Sozialgerichts Hannover vom 05.08.2011 (Az. S 52 AS 1405/11), welche allerdings noch nicht rechtskräftig ist: unter welchen Voraussetzungen sind denn zur Rechtsverfolgung entstandene notwendige Aufwendungen zu erstatten und wann ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts notwendig?
Vorab kurz zum Sachverhalt: Die Klägerin erhielt Leistungen nach dem SGB II. Als sie eine geringfügige Beschäftigung fand, teilte sie dies dem beklagten JobCenter mit und übersandte später Verdienstabrechnungen. Daraus errechnete die Beklagte veränderte Hartz-IV-Beträge, gegen den Änderungsbescheid legte ich für die Klägerin Widerspruch ein. Daraufhin wurde dem Widerspruch abgeholfen, jedoch verfügte die Behörde, die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten seien nicht zu erstatten, diese seien nicht notwendig gewesen. Hiergegen legte ich wiederum Widerspruch ein und zwar mit folgenden Argumenten:
- der mit Behörden unerfahrenen Klägerin fehle es an der notwendigen Sach- und Rechtskunde, um in sozialrechtlichen Belangen ihre Interessen angemessen vertreten zu können.
- die Leistungskürzung habe bei der Klägerin zu einer existentiellen Bedrohung geführt.
- man habe die Klägerin in der Zeit vor meiner Einschaltung mit einer Vielzahl von Schreiben und unterschiedlichen Bescheiden überzogen, was zu einer starken Verunsicherung und Verängstigung geführt habe
Der Widerspruch wurde zurückgewiesen; die Beklagte hätte auch ohne anwaltliche Beteiligung die Abhilfe erreichen können.
Dagegen richtete sich nun die Klage, die auch vollständig zum Erfolg führte, denn das Gericht verpflichtete das JobCenter, den Abhilfebescheid dahingehend abzuändern, dass nunmehr die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten seien und die Zuziehung eines Rechtsanwalts notwendig sei. Darüber hinaus habe die Beklagte (und damit die Staatskasse) auch noch die notwendigen Kosten der Klägerin im Rahmen des Gerichtsverfahrens zu tragen.
Das Gericht begründete dies wie folgt:
- Zunächst bezog es sich auf § 63 Abs.1 S.1 SGB X, wonach der nunmehr ausgeurteilte Erstattungsanspruch die Folge des erfolgreichen Widerspruchs sei. Erfolgreich sei ein Widerspruch, wenn der angegriffene Verwaltungsakt ganz oder teilweise aufgehoben oder das Verfahren durch einen Abhilfebescheid beendet werde, und zwar selbst dann, wenn die Aufhebung des Verwaltungsaktes auf Gründen beruhe, auf die sich der Widerspruchsführer garnicht gestützt habe, oder, weil sich schlicht die Sach- und Rechtslage geändert habe.
- Notwendig seien alle Aufwendungen, die ein verständiger, weder besonders ängstlicher noch besonders unbesorgter Beteiligter im Hinblick auf die Bedeutung sowie die rechtliche oder sachliche Schwierigkeit der Sache, die Gegenstand des Verfahrens sei, vernünftigerweise für erforderlich halten dürfe.
- Aber: die Vorschrift des §63 Abs.1 S.1 SGB X beziehe sich insoweit einzig und allein auf die Notwendigkeit der Aufwendungen, sie beziehe sich eben gerade nicht auf den Umstand, dass der Beteiligte das Widerspruchsverfahren hätte vermeiden können, wenn er das Verwaltungsverfahren vorab sorgsamer betrieben hätte.
- Auch §63 Abs.1 S.3 SGB X verhindere den Anspruch nicht, denn auch dort gehe es nicht um die Kostengrundentscheidung, sondern allein um die einzelne, konkrete Aufwendung.
Kurz zusammengefasst: Auch dann, wenn der Betroffene vor dem Erlass des Ausgangsbescheides das Verfahren nicht sorgfältig geführt hat, hat er trotzdem einen Erstattungsanspruch, wenn er insoweit im Widerspruchsverfahren ganz oder teilweise erfolgreich ist.
Stellte sich weiterhin für das Gericht noch die Frage, ob nun auch noch die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig war. Dies bejahte das Gericht unter Bezugnahme auf §63 Abs.3 S.2 SGB X aufgrund folgender Erwägungen:
- Grundsätzlich sei eine solche Hinzuziehung notwendig, wenn ein verständiger, aber rechtsunkundiger Beteiligter dies für erforderlich halten dürfe, und zwar deswegen, weil auch ein vernünftige Bürger mit gleichem Bildungs- und Erkenntnisstand sie bei der gegeben Sach- und Rechtslage an einen Anwalt gewandt hätte.
- In der Regel müsse dabei der Sachverhalt nicht schwierig und nicht umfangreich sein.
Es muss also unter Berücksichtigung der subjektiven Kenntnisse und der subjektiven Situation des jeweiligen Beteiligten im Rahmen einer Einzelfallabwägung entschieden werden, ob gerade diese Person die Einschaltung eines Rechtsanwalts für erforderlich halten durfte.
Hat man es also nicht mit Beteiligten zu tun, die einfach nur zu faul sind, um sich mit der Behörde auseinander zu setzen, erreicht man also nicht die Grenze der Willkür, dann besteht der Kostenerstattungsanspruch auch für die Rechtsanwaltskosten. Und ehrlich, wer in der Praxis mal den umfänglichen Schriftverkehr gesehen hat, der in den Leistungsverfahren nach SGB II letztendlich vom Computersystem in den JobCentern losgetreten wird, der findet umfangreiche Argumente, warum damit praktisch jeder Beteiligte überfordert ist.
Und er findet ebenso reichliche Argumente dafür, froh zu sein für jeden Tag, an dem er nicht selbst in diesen Verwaltungsstrudel gerät.
Photo: www.pixelio.de
AK
19. August 2011
Bravo! Mehr davon. Dieses SGBII ist so konstruiert, dass es für Otto-Normal-Opfer nicht mehr zu verstehen ist. Und wenn nun Anwälte öfter öffentlich machten, dass auch sie an die Grenzen des gesunden Verstands kommen, dann ist das eine grosse Hilfe für die, die auf HartzIV angewiesen sind.
Vielen Dank für diesen Artikel.
AS
19. August 2011
Ein sehr guter und hilfreicher Artikel; und ein realitätskonformes Urteil.
Rechtsanwalt im Sozialrecht Michael P. H. Drießen
21. August 2011
Sehr verehrte Frau Kollegin Körbes,
sehr geehrter Herr Kollege Scherer,
die Einladung zu einem Gastkommentar zu Ihrer Veröffentlichung nehme ich gerne wahr.
Ich bin der Ansicht, das Urteil vom 5.8.11 des SG Hannover – S 52 AS 1405/11 – müsste gute Chancen haben, Rechtskraft zu erlangen.
Denn nahezu wortgleich lautet eine Entscheidung des BVerfG:
Das Bundesverfassungsgericht hat die Bagatellrechtsprechung für unwirksam erklärt (z. B. die des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg)
Mit Beschluss des BVerfG vom 24.03.2011 – 1 BvR 2493/10 ist judiziert worden:
Ob in einem sozialgerichtlichen Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, hängt in erster Linie davon ab, ob die Beiordnung eines Rechtsanwaltes notwendig ist.
Dies ist der Fall, wenn eine unbemittelte Person in der gleichen Lage einen Rechtsanwalt einschaltet.
Dabei kommt es nicht in erster Linie auf die Kosten des Rechtsanwaltes an! Sondern es kommt in erster Linie an auf die Ungleichheit von Kläger/in und Behörde (JC) hinsichtlich ihrer Kenntnisse und ihrer Prozesserfahrung an.
Es sei auch nicht fern liegend, dass ein Bemittelter auch verhältnismäßig hohe Rechtsanwaltskosten nicht scheut, wenn er mit einem Obsiegen und der Erstattung seiner Aufwendungen rechnet.
Es ging übrigens nur um Kosten der Heizung i.H.v. € 7 monatlich und € 42 EUR in einem halben Jahr.
Hinzufügen möchte ich noch:
Bekanntlich versuchen die Jobcenter die a. g. Gebühren der im Sozialrecht tätigen Anwälte/Innen immer abzuwehren nur unter Hinweis auf SGB X, § 63 Abs. 1.
Dabei wird zumeist der Abs. 2 der Bestimmung übersehen, den nun wohl das SG Hannover meint.
Außerdem ergibt meine – bundesweite – Erfahrung mit den Jobcentern (früher ARGEN), dass ein weitaus mehr erfahrener Kollege hier in Lübeck zu Recht öffentlich gebrandmarkt hat die Jobcenter sind die personifizierte Verantwortungslosigkeit<!
Dieses Verhalten hat zur Folge, dass das Tun bzw. Unterlassen trotz Handlungspflicht der Jobcenter nahezu immer zugleich den objektiven Tatbestand irgend einer Strafrechtsbestimmung erfüllt. Damit kommt als Anspruchsgrundlage – mit dem Vorteil des § 32 ZPO – häufig hinzu § 823 II BGB i. V. m. §§…….StGB.
Obendrein hat mir ein Richter an einem der „Hartz-IV“-Senate des BSG telefonisch den – inzwischen erfolgreich erprobten – Rat gegeben:
Schreiben Sie dem Jobcenter einen möglichst „harten“ Brief an das Jobcenter und drohen den verantwortlichen Personen persönliche Schadensersatzklagen an (§ 823, 824, 826, 839, 840, 842, 843 BGB).
Danach war die – seit 8 Monaten wiederholt abgelehnte – Zustimmung nach SGB II, § 22 Abs. 4 (neu) praktisch über Nacht da.
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
gez.
RA. MPH. Drießen
Frank Georg Bechyna
26. Oktober 2011
Sehr geehrter Herr Drießen ,
sehr geehrter Herr Scherer !
Sozialrecht ist bis einschliesslich Erstem jur. Staatsexamen kein prüfungsrelevantes fach . Sucht ein Mensch , der “ Hartz IV “ bezieht in den “ gelben Seiten “ eine FA für Sozialrecht, so muss er enttäuscht sein . Es gibt diese Spezialisten fast nicht .
Hier direkt der wichtige Hinweis meinerseits : Wer etwa “ Bachelor der rechtswissenschaften 2 ist, die / der hat von den internen Vorgängen in den jobcentern / ARGEn keine Ahnung wie auch nicht von den rechtlichen Grundlagen und Durchführungsbestimmungen . Dies wir in unerträglich grossem Mass in den Fällen des Betreuuungsrechtes deutlich . Daher : Immer direkt zu einem Rechtsanwalt gehen .
SGB I – XIi mit iden kommentierungen sind sehr kompliziert . Uns auch das Anwaltshandbuch “ Sozialrecht “ ( C H Beck ) hilft dem Laien nicht weiter . Wie auch .
Schon bei “ Widersprüchen “ gegen die extrem oft falsche Bescheide muss der ALG – II – Bezieher schon aus formalrechtlichen gründen kompetente anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen ( können ) . Wie sollte er sonst seinen Widerspruch begründen ?
Diese jobcennter mit ihrem Krisenmangement versuchen natürlich , jeden Widerspruch mit salbungsvollen , unsubstantiiertem Gerede ( unter Hinzuziehung einer weitern jc – Miatrebterin, damit im Zweifelsfalle immer ein Kollege genau das bestätigen kann , was nie gesagt worden ist ) aus der Welt zu schaffen .
Diese “ Reamleiter 2 haben ganz genaue Vorgaben ! So wird, was wenige wissen, dem ALG – Ii – Bezieher sogar vorgeschlagen, einen eigenen Rechtsanwalt zu einer “ Besprechung “ mitzubringen. Das dürfte schon am Stundensatz des Anwaltes scheitern .
F a z i t : es hilft immer nur der schriftlich Widerspruch durch einen Anwalt . Denn darauf müssen jobcenter / ARGEN bekanntlich frsitgerecht schriftlich und begründet antworten .
2009 war selbst in der “ Bild “ – Zeitung zu lesen, was der Vorstand der BA in Nürnberg von den ARGE – Mkiatarbeiterinnen hält : Nichts ! Schnellkurs von 8 Tagen und schon ist sie / er kompetent in sozialrechtlichen Fragen .
Der oben ziitierte Richter am Bundesozialgericht hat Recht ! Nur persönliche (!) Klagenandrohungen helfen weiter . Wobei neben den hier erwähnten BGB – Paragarphen durchaus auch Strafrechtstatbestände in Betracht kommen .
Das immer weider zu hörende Argument “ Einigen Sie isch; Sie werden vielleicht auch in Zukunft mit Schwierigkeiten rechnen müssen “ ist völlig falsch . wer einmal “ einknickt “ bekommt einen – herausnehmbaren – Aktenvermerk .
Mit freundlichen Grüssen
Frank G. Bechyna
bechyna_arzt@gmx.com